PALÄSTINA: VIEL SYMPATHIE FÜR DIE ENTFÜHRER DES GOUVERNEURS : Noch hat der Bürgerkrieg nicht begonnen
Eine militante palästinensische Gruppe kidnappt und verprügelt einen palästinensischen Regionalpolitiker, der angeblich versucht hat, Aktivisten jener Gruppe an Anschlägen gegen Israel zu hindern. Wie ist diese Episode zu deuten? Hat mit der Entführung Haidar Irschaids, des Gouverneurs der Stadt Dschenin, durch die Al-Aksa-Brigaden nun jenes Schreckensszenario begonnen, vor dem Nahostexperten stets gewarnt haben: ein palästinensischer Bürgerkrieg, unvermeidlich, falls jemand versuchen sollte, die Radikalen zu entwaffnen?
Die Antwort lautet: Nein, noch nicht. Nach nur fünf Stunden und einem Anruf aus dem Büro des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat ließen die Al-Aksa-Brigaden, eine Abspaltung von Arafats Fatah-Fraktion, Irschaid nämlich wieder frei. Arafats Anordnungen, sagten die Kidnapper, würden sie sich niemals widersetzen. Die Brigaden wollten zeigen, dass sie nur das Wort des alten Mannes akzeptieren; das Ziel war damit zugleich die Schwächung des palästinensischen Premiers Mahmud Abbas. Das Opfer Irschaid war zudem besonders geeignet, um nebenbei noch die Sympathiewerte zu steigern, ohne die seit Ende Juni bestehende Waffenruhe zu verletzen: Der Gouverneur gilt als korrupt, und mehr als ein Bewohner Dschenins dürfte sich ob der Entführungsnachricht ins Fäustchen gelacht haben.
Der Fall Irschaid hat eine Menge symbolischer Komponenten. Er war noch nicht der Testfall für die Reaktion der Radikalen auf eine gewaltsame Entwaffnung, lässt aber den Schluss zu, dass ein deutlicherer Versuch mit Toten und Verletzten enden könnte. Um dies und einen möglichen Bürgerkrieg zu verhindern, muss ein glaubwürdiger Mahmud Abbas dringend in seinen Behörden ausmisten. Und das Nahostquartett muss auf Israel einwirken, eine Friedensdividende an die Palästinenser zu bezahlen. Nur so kann eine kritische Masse der Militanten überzeugt werden, ihre Waffen freiwillig herzugeben. Eine gewaltsame Entwaffnung ist keine Option. Sie würde viel zu viel Blut kosten und einen Friedensschluss langfristig unmöglich machen. YASSIN MUSHARBASH