: Ein Mythos wankt
Nachdem die BBC bestätigt hat, dass David Kelly tatsächlich ihr Hauptinformant war, kippt die Stimmung in den britischen Medien: Zeitungen kritisieren jetzt harten Kurs der BBC-Führung
von STEFFEN GRIMBERG
Der Selbstmord des britischen Wissenschaftlers David Kelly, wichtigste Quelle der BBC in ihrer Berichterstattung über ein angeblich manipuliertes Irak-Dossier der Regierung, setzt die Führung der öffentlich-rechtlichen Anstalt weiter unter Druck. Der bislang überwiegend BBC-freundliche Ton der meisten britischen Zeitungen war bereits gestern deutlicher Kritik gewichen. Diese Stimmung weiter anheizen dürfte eine Meldung des Guardian, nach der die britische Regierung vor der „Enttarnung“ des hochrangigen Regierungsberaters Gesprächsbereitschaft über den Fall Kelly signalisiert haben soll.
Während die BBC unter Hinweis auf Informantenschutz stets jeglichen Hinweis auf die Identität der von ihrem Reporter Andrew Gilligan zitierten Quelle verweigert hatte und erst nach Kellys Freitod bestätigte, lieferte das Verteidigungsministerium nach Darstellung der britischen Medien von sich aus konkrete Hinweise, die Journalisten von Guardian, Times und Financial Times vergangene Woche auf die Spur von David Kelly führten (taz von gestern).
Am Tag vor den entsprechenden Berichten sei BBC-Generaldirektor Greg Dyke und BBC-Chairman Gavyn mitgeteilt worden, „wenn sie über die ganze Sache noch mal reden wollten, gäbe es in No. 10 Leute, die mit ihnen reden würden“, zitiert der Guardian einen namentlich nicht genannten „hochrangigen BBC-Manager“. Dieses Gespräch sei aber von der BBC-Führung abgelehnt worden. No. 10 Downing Street ist der Amtssitz von Premierminister Tony Blair. Die BBC hat gestern bis Redaktionsschluss dieser Seite nicht auf die Guardian-Vorwürfe reagiert.
In ihren Nachrichten berichtet BBC – soweit von Deutschland aus zu beurteilen – fair und sachlich. Die Untersuchung durch Lordrichter Brian Hutton werde schwierig „für beide Seiten, die BBC und die Regierung“, hieß es in den Mittagsnachrichten des internationalen Nachrichtenkanals BBC World. In der Radiosendung „Today“ griff der ehemalige Kabinettsminister und Blair-Freund Peter Mandelson die BBC erneut scharf an: „Die BBC ist nicht bereit, Fehler zuzugeben“, so Mandelson. Die BBC-Führung habe den Dossier-Streit für ihre „umfassende Schlacht mit der Regierung“ ausgenutzt.
„Wie können wir der BBC jemals wieder trauen“, fragte auch die auflagenstärkste Boulevardzeitung Sun in einem Kommentar. Die BBC liege jetzt „in der Gosse“, schreibt das zu Rupert Murdochs Medienreich gehörende Blatt. „BBC kämpft um ihren Ruf“, titelte die ebenfalls Murdoch-eigene Times. Der liberale Independent kommentiert als einziges Qualitätsblatt eher BBC-freundlich, während der Guardian sich gestern überraschend heraushielt: Keiner seiner drei Leitartikel war dem Thema Kelly/BBC gewidmet. „Was die wichtigen Fragen angeht (…), kann die BBC mit einiger Zuversicht die Hutton-Untersuchung abwarten. Es war richtig zu berichten, richtig, sich nicht zu entschuldigen (…)“, schrieb dafür der langjährige Guardian-Chefredakteur und heutige Chefkolumnist des Blattes, Peter Preston. Dieser Text findet sich aber nur als Gastbeitrag im Internet – auf der Nachrichtenseite der BBC.