Russlands brisante Atomgeschäfte

Statt das unter das Abrüstungsabkommen mit den USA fallende Waffenplutonium sicher endzulagern, plant Moskau ein riskantes Programm: Der Bombenstoff soll in Form eines explosiven Gemischs im schnellen Brüter verbrannt werden

aus Berlin BARBARA KERNECK

30 Kilometer von Russlands drittgrößter Stadt Jekaterinburg entfernt wollen sich Atomgegner aus der gesamten Russischen Föderation Anfang August zum größten Sommerlager ihrer Geschichte treffen – in einem idyllischen Wald nahe dem Atomkraftwerk Belojarsk. Motto: „Stoppt den Plutonium-Wahnsinn“. Denn in Belojarsk steht der schnelle Brüter, in dem die russische Regierung demnächst ein groß angelegtes Programm beginnen will: Waffenfähiges Plutonium soll so umgewandelt werden, dass es nicht mehr direkt für den Bombenbau taugt.

Hintergrund ist ein 2002 zwischen Russland und den USA geschlossenes Abkommen. Danach müssen beide Staaten bis 2024 je 34 Tonnen ihres Waffenplutoniums transformieren. Nach den Plänen des russischen Atomministeriums soll der Stoff als Plutonium-Uran-Mischoxyd (MOX) in den Reaktor wandern und in ein unzugängliches, aber hochradioaktives Gemisch verwandelt werden.

Ein gefährliches Programm, meinen die Atomgegner: Es bedeute neue Risiken atomarer Unfälle, erzeuge große Mengen Atommüll, eröffne ein breites Wirkungsfeld für kreative Atom-Terroristen und könne sogar zur Weiterverbreitung von Atomwaffen in der Welt führen. Weil der Belojarsker Reaktor allein nicht in der Lage ist, die Plutonium-Menge in der vorgegebenen Frist zu bewältigen, sollen auch herkömmliche Reaktoren mit eingesetzt werden – die für diesen Prozess sicherheitstechnisch gar nicht ausgerichtet sind.

Die Umweltorganisation ecodefense warnt darüber hinaus, dass ein Reaktorunfall während des Betriebs mit MOX zu einer zwei- bis dreimal höheren radioaktiven Verseuchung der Umwelt führt als bei einem entsprechenden Unfall bei der Nutzung von Uran-Brennelementen. Das bestätige eine unabhängige Untersuchung aus dem Jahr 2000. Einschlägige Erfahrung hat man bereits in dem Städtchen Seversk beim sibirischen Tomsk gesammelt. Dort kam es 1993 bei einer Explosion in einer Anlage, in der Plutonium aus verbrauchten Uran-Brennelementen gewonnen wurde, zu einer schweren Verseuchung der Umwelt. Und ausgerechnet hier soll eine Fabrik entstehen, die das für das neue Programm unverzichtbare MOX herstellt. Geplant ist also ein Kreislauf: Aus Plutonium wird zwecks Verbrennung MOX hergestellt, parallel dazu wird aber weiterhin Plutonium gewonnen und in großen Mengen gelagert – offiziell nur noch, um es später in Form von MOX wieder an Reaktoren zu verfüttern.

Darüber hinaus erwägt das russische Atomministerium ganz offen, mit dem hochgiftigen MOX auch weltweit Handel zu treiben. Was es dabei verschweigt: Die Rückgewinnung von waffentauglichem Plutonium aus MOX ist relativ einfach. Und die ständigen Atomtransporte könnten Terrroristen anziehen. Das ganze Programm unterläuft also die bestehende Barriere zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie. Letztlich bleibt es dem Atomministerium, einer durch ihre Korruptionsskandale berüchtigten Behörde, überlassen, ob es Drittstaaten mit atomwaffentauglichem Material versorgt.

Besonders gefährlich erscheinen die Pläne vor dem Hintergrund fehlender Kontrolle. Unter dem Druck der Ministeriums-Lobby musste der bisherige Chef der russischen Atomaufsichtsbehörde, Juri Wischnjewski, letzten Monat zurücktreten. Er war der einzige hohe Regierungsbeamte, der dem Ministerium wiederholt Widerstand leistete. Sein Nachfolger wurde ein Mann aus dem Ministerium. Ginge es wirklich um Abrüstung, so propagieren russische Kernkraftgegner, sei es wesentlich billiger und sicherer, das Waffenplutonium an geschützten Stätten endzulagern. Dafür müsste es nur mit anderen radioaktiven Abfällen und flüssigem Glas versetzt werden. Die so verschmutzte Substanz sei sogar für Diebe unattraktiv – weil der Bombenstoff nur mit viel Aufwand wieder zu isolieren wäre.