: Waschräume sind nur scheinbar banal
Eine Kölner Konferenz beschäftigte sich mit der besonderen Situation hilfsbedürftiger NS-Opfer im Alter. In Köln gibt es nicht genug Pflegestellen, die auf die Betroffenen eingehen können. In der Ausbildung kommt das Thema nicht vor
KÖLN taz ■ In einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten krank und damit arbeitsunfähig zu werden, konnte die unmittelbare Ermordung bedeuten. Auch Krankenstationen dienten oft nicht der Heilung, sondern wurden für Experimente an Häftlingen genutzt. Was bedeuten solche traumatischen Erfahrungen heute für die Überlebenden nationalsozialistischer Verfolgung, wenn sie alt sind und hilflos werden – und als Pflegefälle erneut anderen Menschen ausgeliefert sind, wenn auch unter veränderten Umständen?
„Kein Ort der Zuflucht für hilfsbedürftige NS-Verfolgte“ hieß eine Kölner Tagung, die sich am Dienstag mit der besonderen Situation der Opfer im Alter befasste. „Eine verdrängte Frage, die in der Altenarbeit bisher kaum vorkam“, sagt Sonja Schlegel vom Kölner „Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte“, der die Tagung veranstaltete. Immer mehr ehemalige Verfolgte seien auf Hilfe und Pflege angewiesen – auch in Köln. Außer dem Heim des jüdischen Wohlfahrtszentrums in Ehrenfeld fehlten aber wie in den meisten deutschen Städten Angebote für traumatisierte NS-Opfer im Alter.
Der Kölner Psychiater Peter Liebermann beschrieb Ohnmacht und Hilflosigkeit als zentrale Erfahrungen vieler Verfolgter. Reaktionen darauf könnten Reizbarkeit und Wutausbrüche, aber auch Rückzug und Depressionen sein. Wenn im Alter Schutzfaktoren wie ein geregelter Arbeits- und Familienalltag wegfallen und in einem Heim wieder Erfahrungen von Schwäche oder Krankheit dazukämen, drohe eine „Retraumatisierung“: Alte Wunden brechen neu auf.
Die konkreten Auslöser können vielfältig sein. „Viele Menschen, die in Lagern waren, reagieren auf Duschen hoch sensibel – Duschen konnten Gas bedeuten“, sagt Liebermann. Auch Kot- und Uringerüche seien oft Belastungsfaktoren, weil sie Erinnerungen an die Lagersituation wach rufen. „Die Frage nach der Gestaltung von Wasch- und Toilettenräumen ist nur scheinbar banal.“ Ärzte können ebenso bedrohlich wirken wie eine bestimmte Musik oder der Wechsel des Zimmers im Altenheim. Besonders wichtig sei es deshalb, dass sich die Betreuer mit jedem Betroffenen individuell auseinander setzten, sagt Liebermann.
Für diese Arbeit fehlt es bisher aber an Wissen und an Geld. Die Pflegebedürftigkeit eines Menschen wird nach seinem körperlichen Zustand bemessen, die besondere lebensgeschichtliche Situation spielt bisher keine Rolle. Die Kölner Konferenz, sagt Sonja Schlegel, soll ein Anstoß sein, das Thema in der Politik, aber auch bei Wohlfahrtsverbänden, Altenheimen und Pflegediensten bekannt zu machen. Eine ständige Arbeitsgruppe wird sich speziell der Situation in Köln widmen. Geplant ist für Herbst ein Begegnungscafé, das sich an NS-Verfolgte im Alter richtet – inklusive Fahrdienst für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte.
Die Lebenssituation von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung müsse außerdem Thema bei der Aus- und Weiterbildung von Menschen in betreuenden Berufen sein, forderte Paulette Weber von der Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland: „Warum ein alter Mann den ganzen Tag seine Bettdecke glatt streicht, kann die Pflegerin nicht verstehen, wenn ihr niemand sagt, dass er in der Baracke im Lager geschlagen wurde, wenn seine Decke nicht glatt war.“
Thomas Goebel