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Archiv-Artikel

„Keine Bedrohungslage“

Messerstich-Prozess: Tage vor der Bluttat bat das Opfer die Polizei um Hilfe – vergeblich

Von jox

Bremen taz ■ In dem Prozess um die Ermordung einer 25-jährigen Frau in der Bremer Neustadt stand gestern das Verhalten der Polizei im Mittelpunkt. Der Ex-Freund der Getöteten berichtete im Zeugenstand, wie er zusammen mit der jungen Frau nach einer ersten Gewaltattacke der psychisch kranken Susanne K. wenige Tage vor der Bluttat bei der Polizei Anzeige erstattete. Laut seinen Schilderungen traf die völlig aufgelöste Frau auf routinierte Dienststubenbürokratie.

Zuerst habe man im Polizeirevier am Wall vorgesprochen, berichtete der Zeuge. „Wir sind dafür nicht zuständig“, habe man seiner Ex-Freundin dort beschieden und sie an das Revier Neustadt weiterverwiesen. Dort seien dann drei Beamte „herumgestanden“, die rasch herausgefunden hätten, dass es sich bei der gewaltbereiten Nachbarin um Susanne K. handelt. „Ach, die schon wieder“, soll einer der Polizisten trocken bemerkt haben. Und: „Warum haben Sie sich nicht gewehrt?“ „Die wollten das ins Lächerliche ziehen“, bewertete der Zeuge rückblickend das Verhalten der Beamten.

Einer der damals Diensthabenden war gestern auch als Zeuge geladen. Der 44-Jährige, seit 25 Jahren bei der Polizei, machte bei seiner Aussage einen fahrigen, nervösen Eindruck. Auf die Frage, „welchen Eindruck“ die verängstigte Frau auf ihn hinterlassen habe, antwortete er: „einen sympathischen“. Er habe „einen Sachverhalt“ aufgenommen, „der mir als Körperverletzung geschildert worden ist“. Dann habe er den Fall an einen „Sachbearbeiter“ weitergegeben.

Ob denn angesichts der im Polizeicomputer gespeicherten Daten über die bereits zuvor einschlägig in Erscheinung getretene Susanne K. nicht sofort Handlungsbedarf bestanden habe, wurde der Beamte gefragt. Seine Antwort, die von den Eltern des Opfers mit entsetztem Kopfschütteln aufgenommen wurde: „Es war ja keine unmittelbare Bedrohungslage mehr gegeben.“

So nahmen die Dinge ihren Lauf: Susanne K. erhielt fünf Tage später von der Polizei ein Schreiben, in dem sie aufgefordert wurde, sich bis zum 14. Juli zu der Anzeige zu äußern. Am 11. Juli tötete K. ihre Nachbarin mit 39 Messerstichen. jox