: Gewerkschaft sägt an Castorf
Frank Castorf soll offenbar die künstlerische Leitung der Ruhrfestspiele aufgeben. Gerard Mortier lässt deshalb sein Amt als Intendant des Festivals ruhen. Der DGB schweigt – dementiert aber nicht
VON BORIS R. ROSENKRANZ
Die Stadt Recklinghausen und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wollen offenbar den Vertrag mit Frank Castorf, dem künstlerischen Leiter der Ruhrfestspiele, auflösen – und zwar gegen die Zahlung einer stattlichen Summe.
Dies geht aus einem offenen Brief des RuhrTriennale-Intendanten Gerard Mortier hervor, der gestern veröffentlicht wurde. Stadt und Gewerkschaft hätten versucht, den Vertrag mit Castorf „gegen Barzahlung“ aufzulösen, so Mortier. Ferner habe der DGB eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung für kommenden Montag einberufen, obwohl daran weder er selbst noch Kulturminister Michael Vesper (Grüne) teilnehmen könne. Bei der Sitzung wollen die Gewerkschafter einen neuen künstlerischen Kurs für das Festival bestimmen. Diese Vorgehensweise findet Mortier unzulässig.
Als Reaktion auf die Entscheidung der Gewerkschafter ist Mortier gestern von seinem Amt als Intendant der Ruhrfestspiele zurückgetreten. Eigentlich wäre er noch bis Ende Juli an der Spitze des Theater-Festivals verblieben. Außerdem behält sich der Theatermann vor, den DGB wegen Rufschädigung zu belangen. Ein Kommentar zu den merkwürdigen Vorgängen war gestern aber weder von Mortier noch von Castorf zu bekommen. Auch die Stadt Recklinghausen und der DGB schweigen – dementieren aber nicht.
Mortier unterstützt mit seinem Rücktritt weiter Castorfs Kurs, der nach dem dramatischen Einbruch der Besucherzahlen in die Kritik geraten war. Nur 32 Prozent der Eintrittskarten wurden verkauft, selbst die Ehrenkarten für Gewerkschafts-Funktionäre wurden kaum in Anspruch genommen. Der DGB und Recklinghausens Oberbürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU) hatten Castorf deshalb gewarnt, er solle nicht das traditionelle Publikum des einstigen „Kunst für Kohle“-Spektakels verschrecken.
Der DGB-Aufsichtsratsbeauftragte der Ruhrfestspiele, Jochen Laux, sagte der taz bereits am Dienstag: „Wir haben keine Volksbühnen-Filiale gewollt.“ Es müsse etwas unternommen werden, sonst drohe dem Festival der Ruin. Christoph Schlingensief, der bei den diesjährigen Ruhrfestspielen mit einer Wagner-Rallye für publikumswirksames Aufsehen sorgte, zeigte sich gestern geschockt. Zur taz sagte der Theater-Regisseur: „Das Ruhrgebiet ist meine Heimat – ich bin sehr enttäuscht!“ Im Revier habe sich ein Konservativismus breit gemacht, der sich vor allem Neuen erschrecke. Der Versuch von DGB und Stadt, Castorf auszuzahlen, erinnere ihn an die Machenschaften von Mannesmann, der Deutschen Bank und Klaus Esser: „Der DGB hat zusammen mit dem ehemaligen Leiter Hansgünther Heyme das Publikum Jahrzehnte lang auf dem Niveau von Dixi-Club und Frühschoppen gehalten.“