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Archiv-Artikel

themenläden und andere clubs Vaterlandsverrat oder die Ambivalenz gegenüber dem Ausscheiden der eigenen EM-Mannschaft

Fußball ist komisch und im Prinzip ist man da ja auch eher schon fast entschieden ambivalent so gefühlsmäßig, aber auch in den Entscheidungen, die man als teilnehmender Bürger bei großen Fußballereignissen zu treffen gewohnt ist, um das Interesse am Spiel zu steigern. Man hatte zum Beispiel ganz spontan darauf gewettet, dass nicht – „die Deutschen“, sondern Deutschland, also die Unsrigen – aus dem Turnier hinausfliegen werden, nicht so sehr weil man davon überzeugt gewesen wäre, sondern eher, weil der Kollege, ein Altlinker quasi, plötzlich, überraschend und völlig überzeugt gewesen war, dass „die Deutschen“, wie er die Unsrigen nannte, Europameister werden.

Sonst hatte er noch nie ein gutes Wort über die Unsrigen verloren gehabt, sondern sie immer recht grimmig als Kartoffelköppe, Rumpelfußballer, nichtsnutzige Millionäre beschimpft. Egal: Manche wetten gegen die eigene Mannschaft in der Hoffnung darauf, dass sie gewinnen möge. Die Wette ist dann ein Opfer, das man für den Sieg erbringt. Mir war dagegen eher zwiespältig zumute. Eigentlich wollte ich ja, dass Holland, Tschechien und Deutschland weiterkommen. Nachdem ich gegen uns gewettet hatte, kam ich mir vor wie ein Vaterlandsverräter und setzte in anderen Wetten eher auf Außenseiter, um mich für meine Vaterlandsverräterei zu bestrafen.

Vielleicht geht es bei derlei widersprüchlichen Wetten auch darum, eine gewisse, fast hippieske Balance zwischen Sieg und Niederlage, Finsternis und Licht, Tod und Unsterblichkeit wiederherzustellen. In diesem Sinne bin ich etwa davon überzeugt, dass Schweden gegen Frankreich gewinnt und gleichzeitig zuvor – eher unglücklich – gegen die Niederlande ausscheidet.

Vor dem Spiel gegen Tschechien schrieb eine Freundin in einer Rundmail: „Ich würde gern Fußball gucken heut Abend, musste aber leider zu der erschütternden Einsicht kommen, dass es ja kaum noch antideutsche Fußballfans in unseren Reihen zu geben scheint …“ Dies scheint in der Tat der Fall zu sein, und dass sich Antideutsche ähnlich übertrieben mit ihrer Nation identifizieren wie tumbe Patrioten und dass bei beiden Haltungen der Fußballsachverstand meist auf der Strecke bleibt, muss nicht weiter erwähnt werden.

Wir schauten uns in der Kreuzberger „Cahuna-Lounge“ beim Ausscheiden zu. Überhaupt gucken ja so viele Menschen an öffentlichen Orten wie noch nie zuvor in Berlin und machen nebenbei auch noch Sachen wie das von einer Schnapsfirma gesponserte Tip-Kick-Turnier in der „Cahuna“. Vielleicht entsprachen wir einem normalen EM-Publikum. Einige waren lauter, andere stiller, viele auch sehr sachverständig; es gab weder patriotische noch antipatriotische Bekundungen, obgleich alle sehr gespannt waren. Und danach war man dann doch etwas still und schlecht gelaunt und spielte recht unkonzentriert und eher schweigend am Flipperautomaten. Ist ja auch blöde: Einerseits konnte man sich mit unserer Mannschaft identifizieren, weil sie halt mittelmäßig ist, andererseits schied sie genau deshalb aus. Irgendwie wurmte das, obgleich man den Tschechen den Sieg gegönnt hatte. Aber dass wir von einer B-Mannschaft geschlagen worden waren?! Gabi, die nichts mit Fußball am Hut hat, schaute uns mitfühlend an, und wir sagten wie kleine Jungs: Ist uns doch egal!

In der Nacht gab’s im Deutschlandradio dann eine Sendung über Fußball und Theweleit und die Verwandtschaft von Fußball und Krieg. Das ist auch völliger Unsinn; denn Krieg ist das Anti-Ambivalente schlechthin, und nicht erst bei dieser EM fällt ja auf, wie viele hierzulande die deutschen Spiele mit entschieden gemischten Gefühlen verfolgt hatten, was als zivilisatorischer Fortschritt zu werten ist.

DETLEF KUHLBRODT