: Keine Rolle vorwärts
Männer sind besser als ihr Ruf – weder Nestflüchter noch Paschas, war kürzlich hier zu lesen. Doch die Geschlechter sind in tradierter Arbeitsteilung verfangen. Eine Gegenrede
Der Mann von heute, war kürzlich an dieser Stelle zu lesen, ist nicht so schlecht wie sein Ruf. Er widmet Haus und Kindern mehr Zeit als oft angenommen und passt seinen Alltag seiner jeweiligen Lebens- und Familiensituation angemessen an. Schön wär’s – nur leider stimmt das nicht. Die Anwesenheitszeit von Männern zu Hause ist nicht gleichzusetzen mit der Entlastung der Partnerin und folgt zweitens viel zu selten den Anforderungen der jeweiligen Haushaltsstruktur – also Zahl und Alter der Kinderzahl und Erwerbssituation, wie es die Männerforscher Döge und Volz behaupten. Der faktische oder innere Rückzug von Vätern aus der Familie erklärt vielmehr zu einem großen Teil, warum im Übergang zur Elternschaft die Kurven von Zärtlichkeit und Sexualität steil nach unten weisen, Streitverhalten zunimmt und viele der Beziehungen nach fünf Jahren auf dem Tiefpunkt angelangt sind. Die „Retraditionalisierungsfalle“ schnappt nicht erst zu, wenn drei und mehr Kinder im Haushalt leben, sondern oft schon beim ersten, spätestens beim zweiten Kind.
Fast die Hälfte der männlichen Bevölkerung lässt sich im Jahre 2001/02 immer noch von Müttern, Großmüttern, Ehefrauen und Partnerinnen beköstigen. Man(n) kommt nur zum Essen in die Küche und beteiligt sich – laut Selbstauskunft im Zeittagebuch, auf das sich auch Döge und Volz stützen – auch nicht beim Tischdecken oder Geschirrspülen. Die Vorstellung, dass sich die tradierte Arbeitsteilung zumindest in der jungen Männergeneration auflöst, lässt sich durch die vorliegenden repräsentativen Daten nicht bestätigen. Von den 20- bis unter 25-jährigen Männern waren es sogar 72 Prozent, die sich rundum versorgen lassen.
Qualitative Studien belegen, dass die Hauptverantwortung für Haus- und Sorgearbeit noch immer bei den Müttern liegt – egal ob sie in München, Leipzig oder auf dem flachen Land leben, unabhängig von Bildungsstand oder Wochenarbeitszeit. Ob der Turnbeutel für den Nachwuchs gepackt, das Geburtstagsgeschenk für Oma besorgt oder der Termin beim Kinderarzt eingehalten wird, all dies fällt unter zusätzlich anfallende Koordinierungsleistungen, die nach wie vor Frauen übernehmen und die sich aus quantitativen Zeitdaten kaum ablesen lassen.
Berufstätige Akademikerinnen mit Kindern entlasten sich wenigstens zum Teil durch bezahlte Putz- und Betreuungsdienste. Auf solche Strategien (und weil es weniger Kinder in unserer Gesellschaft gibt) geht es wesentlich zurück, dass Frauen heute insgesamt etwa zehn Prozent weniger Haus- und Sorgearbeit leisten als noch vor einer Dekade. Eine Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Mann und Frau im Sinne einer gleichberechtigten Arbeitsteilung steht indessen nach wie vor aus.
Dem Mikrozensus 2002 zufolge gab von den ohnehin nur knapp drei Prozent der in Teilzeit arbeitenden Männer mit Kindern lediglich ein Viertel an, ihren Vollzeitjob aus familiären Gründen einzuschränken. Frauen reduzieren ihre Berufstätigkeit dagegen mit großer Mehrheit wegen der Familie. Zudem werden neun von zehn aller geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in Westdeutschland von Frauen ausgeübt, was den Verlust beruflicher Qualifikationen, finanzielle Abhängigkeit vom Mann oder von staatlicher Alimentierung bedeutet.
Daran ändert der Umstand wenig, dass es auch Väter gibt, die sich von diesem traurigen Mainstream wohltuend abheben. Alles in allem greift die Beschäftigung mit diesem Thema aber zu kurz, wenn wir nicht auch nach strukturellen Ursachen der Misere fragen. Diese liegen zum Beispiel an der anhaltend schlechten Bezahlung vieler so genannter Frauenberufe. Kein Wunder also, dass schon bei der Geburt des ersten Kindes drei Viertel der Väter mehr verdienen als die Mütter. Europaweit verzeichnet Deutschland im Übrigen die größten Einkommensdifferenzen zwischen Männern und Frauen. Je höher die Qualifikation, desto weiter geht die Schere auf. Zu nennen ist hier aber auch die völlige Fehleinschätzung von Politik und Wirtschaft, Sorge- und Solidaritätspotenziale würden sich in unserer Gesellschaft gleichsam „naturwüchsig“ einstellen und wären zum Nulltarif zu haben.
Gleichstellungspolitik muss diese Fragen gezielt im Auge haben; die europäische Initiative „Equal Pay“ oder die Bemühungen um eine Neubewertung von Dienstleistungsberufen gehen in die richtige Richtung: In der Schweiz löste die Sammelklage von Krankenschwestern und Erzieherinnen wegen ihrer niedrigen Löhne eine gründliche Überprüfung mehrerer hundert Berufe aus. Arbeitsinhalte wie der Umgang mit Krankheit oder Tod, die ständige Verfügbarkeit auf Abruf oder eine häufige Unterbrechung von Arbeitsabläufen infolge eines hohen Kommunikationsbedarfs erfuhren etwa im Vergleich zum Heben schwerer Lasten eine deutliche Aufwertung – ein wichtiger Beitrag zur Herstellung der Gleichwertigkeit von männlich und weiblich bestimmten Tätigkeitsfeldern.
Obwohl auch Unternehmen in Deutschland angeblich erkannt haben, dass sich frauen- und familienförderliche Maßnahmen betriebswirtschaftlich rechnen, sehen gerade mal sechs Prozent der Betriebe eine besondere Personalentwicklung für Frauen oder Weiterbildungsmaßnahmen für Eltern in der Elternzeit vor, weniger als zwei Prozent stellten Betriebskinderkrippen bereit oder mieteten Kindergartenplätze an. Es fehlt demnach an kompetenten und geschlechtersensiblen Männern, die sich als Arbeitgeber, als Vorgesetzte oder Kollegen von klassischen Rollenzuschreibungen lossagen und bei jeder Entscheidung mit denken, dass Frauen und familienorientierte Männer ermutigende Bedingungen brauchen, um ihre Kinderwünsche realisieren zu können, ohne deshalb auf eine interessante Berufsperspektive verzichten zu müssen.
Es sind gerade jene männlichen Mandats- und Entscheidungsträger, die jetzt lautstark einen rapiden Geburtenrückgang mit allen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft beklagen, aber in den zurückliegenden Jahrzehnten so ziemlich alles dafür getan haben, um einer qualifizierten Frauengeneration die „Work-Life-Balance“ strukturell zu verbauen. Denken wir beispielsweise an den Notstand der Kleinkindbetreuung oder an die Misere der deutschen Halbtagsschule, die erst durch Pisa ins Blickfeld des öffentlichen Interesses geriet.
Vonnöten ist hierzulande ein grundlegender gesellschaftspolitischer Kurswechsel in der Geschlechterfrage. Gleichstellungspolitik hat sich im Übrigen nie in der Frage erschöpft, Männer zu mehr Hausarbeit aufzufordern. Geschlechtergerechtigkeit ist als Aufgabe zu betrachten, die in allen Lebensbereichen zügig umgesetzt werden muss. Das hilft, den Standort Deutschland zu sichern, und würde zugleich einen Zugewinn an Lebensqualität bedeuten. Davon werden auch jene Männer profitieren, die ein vielseitiges und verantwortliches Erwachsenendasein zwischen Beruf und Familie leben wollen.
UTA MEIER