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Archiv-Artikel

Wessen Straße ist die Straße?

Vor dem Umzug in die Schwankhalle bespielen freie Theatergruppen das Buntentor

Ein rosa Schwein mit schwarzem BH huscht in eine Telefonzelle Ecke Möckernstraße und beginnt ein langes Gespräch. Im Schaufenster des Video-Verleihs erklärt eine langbeinige Blonde in kunstvoll zerknitterten Jeans, welche Todesarten sie am besten findet. Auf dem Flachdach Ecke Sedanstraße erscheint stündlich Stefan Uhlig wie ein bärtiger Kuckuck, der aus der Schwarzwälder Uhr hüpft. Doch er singt Songs von Hanns Eisler.

Im Solidaritätslied fragt er: „Wessen Straße ist die Straße?“ Diese Woche gehört sie, oder jedenfalls der Buntentorsteinweg, den Schauspielern vom Jungen Theater und ihren Gästen.

Die nehmen die bevorstehende Eröffnung der Schwankhalle, der neuen Spielstätte für die freie Szene am Buntentorsteinweg 112, zum Anlass für ihre Aktion „Außendienst im Buntentor“: Sie bespielen Dächer, Bürgersteige, Geschäfte und Cafés und machen die ganze Neustädter Verkehrsader zur Kulisse.

Im Verkaufsraum eines Bäckerladens etwa prangt heute ein üppiges Bett mit orientalischen Kissen. Darauf hockt Ali Memari und intoniert zarte iranische Liebeslieder.

Draußen auf dem Dach erschallen resolutere Töne: „Her mit dem Zaster!“ singt Stefan Uhlig das „Bankenlied“. „Da kann man ja heute Nacht wohl wieder nicht schlafen“, meckert ein strubbelhaariger Passant. „Ein Glück, dass ich gar nicht hier wohne.“

Aus dem am Straßenrand geparkten Leichenwagen schallen sinnfrei aneinander gefügte Worthülsen aus Politiker-Diskursen. Was ist hier Kunst? Der Leichenwagen? Die ‚Summer-of-Emotions‘-Zigarettenwerbung an der Hauswand dahinter? Der lächelnde Mann im roten Overall und mit Noppenmützchen, der an ihr lehnt? Oder die Frau mit dem Einkaufswagen, die ihm „Du hast ja auch einen Vogel, da bin ich nicht alleine!“ zuruft?

Vor der Apotheke hat sich eine Warteschlange gebildet. Und die ist zweifelsfrei Kunst: Hier spielt das Berliner Obdachlosentheater „Ratten 07“ . Die Aufgereihten schauen nach vorn, wo etwas für die Zuschauer Unsichtbares kostenlos verteilt wird. Die Sehnsucht nach dem ungenannten Gut steht groß in den Gesichtern der Wartenden, und auch hilflose Wut, als sich „diese Georgier“, für die Zuschauer unsichtbar, „immer vordrängeln“. Als eine ganze Straßenbahn mit „Vordränglern“ vorbeifährt, werden die Bittsteller zu Rebellen und überschreiten den ihnen zugewiesenen Bereich.

Ein Polizist knüppelt die aufständischen Bettler nieder. Doch die scheinen das locker wegzustecken: Sie haben gerade die Subversion entdeckt.

Anders als die „Ratten 07“ wird die freie Szene Bremens bald nicht mehr obdachlos sein. Der Spaß an übermütigen Straßen-Aktionen wie dem „Außendienst“ wird ihnen aber hoffentlich nicht vergehen, wenn sie erst in der Schwankhalle „etabliert“ sind.

Katharina Müller

Außendienst im Buntentor: Heute von 19 Uhr bis 24 Uhr