: Heimat, Herberge, Burg
Frank Castorf nahm die Spatenstich-Worte von Alt-Bundespräsident Theodor Heuss wörtlich. DGB und Stadt finden das nicht passend. Der Intendant soll deshalb nach einem Jahr wieder gehen
VON PETER ORTMANN
„Das Haus der Ruhrfestspiele möge werden eine Heimat der Musen, eine Herberge menschlicher Begegnungen, eine Burg freiheitlichen Seins“
(Der ehemalige Bundespräsident Theodor Heuss beim symbolischen ersten Spatenstich am Festspielhaus Recklinghausen im Jahre 1960)
Mit aller Macht will der Deutsche Gewerkschaftsbund den Strukturwandel im Ruhrgebiet aufhalten. Nach nur einer Spielzeit scheint der „kleinbürgerliche Verein“ (Gerard Mortier) seinen Ruhrfestspiel-Leiter Frank Castorf wieder loswerden zu wollen, weil er glaubt, dass dieser die gewerkschaftlichen Festspiele ruiniert. „Was ist da nur angerichtet worden“, sagt Jochen Laux, der DGB-Aufsichtsrats-Beauftragte für die Ruhrfestspiele. Probleme löst die Chefetage der Arbeitnehmervertreter in Berlin wie eine kapitalistische Konzernführung. Vorstandsmitglied Ingrid Sehrbrock und der Recklinghäuser Oberbürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU) boten Castorf in einem Sechs-Augen Gespräch eine dicke Ablösesumme für seinen Rücktritt an. Kommentieren wollte das die Aufsichtsratsvorsitzende der Ruhrfestspiele jedoch nicht.
Für Montag ist eine außerordentliche Aufsichtsrats-Sitzung angesetzt, die vorsichtshalber so terminiert wurde, dass weder Ruhrfestspiel-Intendant Gerard Mortier, noch NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) als Mitgesellschafter oder Frank Castorf daran teilnehmen können. Mortier, der Castorf von der Spree an die Ruhr geholt hatte, legte augenblicklich seinen Posten nieder, droht mit einer Rufmord-Klage und will den Kooperationsvertrag mit dem Gewerkschaftsfestival kündigen. Auch Minister Vesper nimmt eine drohende Haltung ein. Das sei eine Brüskierung des größten Geldgebers des Festivals, sagt er und glaubt, dass der DGB an einer Zusammenarbeit mit dem Land wohl kein Interesse mehr habe. Das könne er nicht akzeptieren. „Der DGB gefährdet damit die Ruhrfestspiele,“ sagt Vesper und behält mit den Euros die höchste Karte im Ärmel beim Spiel um den Recklinghäuser Hügel. Denn ohne Landesförderung müsste der DGB die Ruhrfestspiele einstellen.
Auslöser des Streits um die künftige Intendanz waren die schlechten Besucherzahlen bei den diesjährigen Ruhrfestspielen. Nur 35 Prozent wollten Castorfs „No fear“-Programm sehen. Besonders auffällig war dabei der Rückgang des Kartenverkaufs bei DGB Mitgliedern. Sie boykottierten scharenweise ihr eigenes Festival. Dadurch sank die Verkaufszahl von rund 21.500 Karten im Jahre 2003 auf rund 7.500 in 2004. „Ich hänge keinen Verschwörungstheorien nach, aber ich glaube, es gibt eine sehr direkte, indirekte Verabredung, uns ausbluten zu lassen“, sagte Frank Castorf angesichts des verheerenden Zahlenwerks. Er habe zu wenig Animateure gehabt, die den Menschen sein Programm erklären konnten. Deshalb hätten die Ruhrfestspiele das klassische Rückgrat total verloren.
Deshalb will er, sollte er im nächsten Jahr wider Erwarten doch noch eine zweite Chance bekommen, den Glamour-Effekt verstärken. Im großen Haus sollen Opern über die Bühne schweben und auch Star-Regisseur Christoph Marthaler komme, weil man damit ja auch punktet. In der Stadt Recklinghausen will davon niemand mehr etwas hören. „Ruhrfestspiele ohne Publikum wollen wir nicht“, sagte Oberbürgermeister Pantförder bereits vor dem Start in die erste Festspielsaison unter Castorf. Nach dem Ende will er sich wohl auch an der finanziellen Ablöse des Berliner Volksbühnen-Stars beteiligen.
Das Festspielhaus soll also wieder zu einem Tempel der Champagnerschlürfer werden, denen das Drumherum wichtiger ist als der Inhalt. Gesellschaftskritik in der geballten Form, wie sie Castorf mit seinem Ost-West Ansatz und der Thematisierung von Armut und Arbeitslosigkeit auf die große Bühne häufte, wollen weder die Restarbeitsplatz-Gewerkschafter, noch die schwarze Stadtschickeria in Recklinghausen. Castorf hatte Theodor Heuss‘ Spatenstichwort von 1960 wörtlich genommen und das Festspielhaus zu einer Herberge menschlicher Begegnungen gemacht – mit Übernachtungsmöglichkeit. Das aber war den Kleinbürgern ein spitzer Dorn im Auge.