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Archiv-Artikel

Lasst Kinderchöre singen

Es muss nicht immer Nena sein: „Der Plan“ ist wieder da. Und zeigt, dass der deutsche Groove aus dem Hüftgelenkscharnier immer noch funktioniert. Das neue Album „Die Verschwörung“ strotzt vor seltsamen Ideen. Ein Interview mit „Plan“-Kopf Moritz Reichelt

Die Erfinder der bizarren, avantgardistischen Popmusik, die 1980 mit ihrem Debütalbum Geri Reig ein neues Kapitel der deutschen Musikgeschichte aufschlugen, sind zurück. Mit Kinderlied-Melodien, analogen Korg MS-20-Synthies, dadaistischen Bühnenoutfits und gemalten Bühnenbildern waren „Der Plan“ neben „DAF“, „Fehlfarben“, den „Einstürzenden Neubauten“, „Andreas Dorau“ und „Palais Schaumburg“ eine der prägendsten Gruppen der echten „Neuen Deutschen Welle“. „Da vorne steht ‘ne Ampel“ (1981) und „Gummi-twist“ (1984) hießen ihre Underground-Hits.

15 Jahre sind seit der letzten Veröffentlichung vergangen, nun hat man sich mit den alten Instrumenten wieder ins Studio begeben. Und siehe da: die einfachen Melodien, der theatralische Gestus und der schleppende Rhythmus – dieser deutsche Groove aus dem Hüftgelenkscharnier – sind noch immer eine lustige Kombination. Von der einstigen Düsseldorfer Formation ist allerdings nur noch Moritz Reichelt (Foto rechts: in der Mitte) übrig geblieben, dazu kommen in der akutellen „Plan“-Version JJ Jones und Joachim Treu.

Das neue, am Montag bei Marina Records erscheinende Album „Die Verschwörung“ ist ein vor seltsamen Ideen nur so strotzender Longplayer. Wer sonst lässt Refrains wie „Software kann man nicht stehlen, Ideen sind frei“ („Copyright Slavery“) von einem Kinderchor singen? „Magischer Morgen“ klingt sogar psychedelisch, der Titel „Etwas Geld“ ungewohnt melancholisch. „Hohe Kante“ schließlich könnte sogar zum Hit avancieren.

taz: Wie kam es überhaupt zur neuen CD und wie zu dieser Besetzung?

Moritz Reichelt: Ich will seit langem wieder Musik machen und habe hier in Berlin Joachim Treu kennen gelernt, der auch schon eine musikalische Karriere hinter sich hat. Das ging gut zusammen. Wir haben überlegt, ob wir einen neuen Namen benutzen sollen, aber dann waren die Ergebnisse sehr Plan-artig, und es erschien uns am sinnvollsten, als Der Plan weiterzumachen. Das war immer mein ureigenstes Pro-jekt mit dem ich mich identi-fiziert habe bis zum heutigen Tag. Frank Fenstermacher und Kurt Dahlke in Düsseldorf waren mit den Fehlfarben beschäftigt, und die Entfernung Berlin–Düsseldorf verhinderte die Zusammenarbeit.

Kommt dir nicht die Galle hoch, wenn im Fernsehen die 80er-Retro-Sendungen die NDW mit Nena, Hubert Kah & Co präsentieren werden und alles, was an politischen und ästhetischen Dingen passierte, unerwähnt bleibt?

Ich habe, ehrlich gesagt, nichts anderes erwartet. Das war damals auch schon so, das ein Teil der NDW kommerziell war und ein Teil die Ursprünge und das Engagement beeinhaltete. Ich wüsste nicht, warum es heute anders sein sollte. Darum gehts auch bei unserer Platte. Der erste Titel „Deutschland bleiche Mutter“ ist eine Persiflage auf die NDW-Texte von damals. Da fallen diese Begriffe wie Beton, Neonlicht und so weiter. Es ist witzig, wenn man merkt, dass man den Text der Gesellschaft genauso entgegenschleudern kann wie damals. Und dass er genauso wirkt und sich nicht wirklich viel verändert hat. Die Veränderungen der letzten 20 Jahre sind marginal. Deutschland ist immer noch ein Obrigkeitsstaat.

In „Ulrike“ gibt es eine Stelle, an der die Musik langsamer wird und den darüber gelegten Original-Text der Meinhof ins Stolpern bringt. Welche Absicht verfolgt Ihr mit dem Stück?

Der Text ist ja schon 30 Jahre alt und hat immer noch Bedeutung, weil auch heute die Frage diskutiert wird: Ist Gewalt berechtigt oder nicht. Ulrike Meinhofs Satz bringt es auf den Punkt: Wenn Demokratie ihre eigenen Regeln nicht mehr zulässt, bleibt als Mittel der Veränderung die Gewalt. Es hat sich immer nur etwas in der Geschichte geändert, wenn wirklich Gewalt im Spiel war. Allein die Anwesenheit der RAF damals hat auch die so genannten friedlichen Bewegungen im Zuge der 68er ermöglicht. Der Staat hat gesehen, dass Gewalt auch in eine massenhafte Gewalt umkippen kann. Deshalb sind viele Zugeständnisse gemacht worden – das wird heute immer ignoriert.

Wie wird eure Live-Performance aussehen? In alter Tradition mit Masken und gemalten Bühnenbildern?

Ja, wobei wir die Videos, die wir herstellen ließen, auch einsetzen. Wir werden sie innerhalb der anderen Elemente integrieren. Auf Tour gehen wir im Herbst.

Interview: Carsten Klook