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Archiv-Artikel

Nur die Liebe zählt

Im 38er Lagonda: Prinzessin und Honorarkonsul auf der Rallye „2.000 Kilometer durch Deutschland“. Die Nachtetappe Berlin–Potsdam und zurück. Ist es Leidenschaft oder Macke?, fragen sich die Uneingeweihten – doch die am Volant überlegen unterdessen, wer Melanchthon und Lord Doune waren

„Dieser Lagonda, Baujahr 38, war damals edler als ein Rolls-Royce“

von JAN ROSENKRANZ

Rote Ampel. Das war knapp. Verdammt knapp. Eher schon verdammt knapp drüber. „Ruhe auf den billigen Plätzen!“, sagt die Prinzessin. Billige Plätze? Hier? Hinten? Hinten sitzen sie doch alle, die Diven, Popstars, Diktatoren. Es gibt einfach keine billigen Plätze in einem Lagonda V 12 Drophaed Coupé, Baujahr 1938. Und schon gar nicht bei offenem Verdeck.

Mit 30 Meilen schiebt sich das marineblaue Schiff über die Straße Unter den Linden. Es kommt auf: Wind. Spötter würden sagen: Fahrtwind, der die Frisur zerzaust. Kenner wissen: der eleganteste Fön jenseits des Ärmelkanals. Es lenkt: Hans-Joachim Worms, Honorargeneralkonsul für die Seychellen aus Hamburg, beiges Leinenhemd, braune Lederhandschuhe. Es führt Logbuch und weist den Weg: Gudrun Prinzessin von Preußen, Exfrau des Urenkels des Kaisers, apricotfarbener Leinenanzug, schwarze Mazzini-Brille.

Im Fond: Gepäck (leicht), Hund Fridolin (schläft), taz-Autor (macht Notizen).

Dies ist keine Dienstfahrt nach Ascot. Dies ist die Nachtetappe Berlin–Potsdam–Berlin der Rallye „2.000 Kilometer durch Deutschland“ – nach Angaben der Veranstalter Deutschlands größte Oldtimer-Rundfahrt. In sieben Tagen geht die Reise von Mönchengladbach via Ulm und Berlin wieder nach Mönchengladbach. Ein rollendes Museum mit Millionenwert. In Zahlen: 2.500 Kilometer, 168 Piloten aus 11 Nationen, 70. Jubiläum, 15. Neuauflage, 3.500 Euro Startgeld inklusive Übernachtung – ohne Sprit.

Am Nachmittag war der Konvoi aus Leipzig nach Moabit gekommen – zum Oldtimer-Zentrum „Meilenwerk“. Kleine Pause, seit halb acht dann die Nachtfahrt. „Es handelt sich dabei um eine touristische Zuverlässigkeits- und Orientierungsfahrt, die es gilt möglichst ohne Pannen zu überstehen“, hat der Sprecher via Megafon am Start erklärt. Es sei also keine Rallye im herkömmlichen Sinne. Soll heißen: Tempo ist fast egal, der Weg ist das Ziel und das gilt es zu finden. Die Kontrollpunkte auch. An denen gibt es Stempel. „Nach 300 Metern Melanchthonstraße“, sagt die Prinzessin. „Wer war Melanchthon?“, fragt der Konsul. „Passe“, sagt der taz-Autor. „Kollege von Martin Luther“, sagt der Konsul. „Nach 500 Metern links abbiegen in John-Foster-Dulles-Allee“, sagt die Prinzessin. „Wer war John Foster Dulles?“, fragt der Konsul. „Ehemaliger amerikanischer Außenminister“, sagt der taz-Autor. „1:1“, sagt der Konsul. Die Prinzessin hakt die Passage im Logbuch ab und rückt ihr Basecap tiefer ins Gesicht. Der Konsul schaltet das Gebläse zu und arbeitet am Steuer. Selbstverständlich ist das rechts.

Der Lagonda wiegt sich im Takt von Kurven und Kratern der Straßen Berlins und schnurrt nicht kätzchen-, sondern löwengleich und säuft wie der Fanbus von ManU. 30 Liter, gib’s ihm. Lagonda galt einst als Synonym für edelste und außergewöhnliche Sportwagen der Luxusklasse. Das war in den 20er- und 30er-Jahren. Der Name kommt nicht aus Italien oder Spanien, auch einen Mister Lagonda hat es nie gegeben. 1894 kam der Ingenieur Wilbur Gunn aus Ohio nach England und baute bis 1905 Motorräder. In der Nähe der elterlichen Farm in Ohio soll ein winziges Flüsschen geplätschert haben. Das trug den indianischen Namen „Lagonda“.

Nur knapp über 3.000 Stück aller Serien wurden gebaut. „Dieser Lagonda war damals edler als ein Rolls-Royce“, ruft Konsul Worms in den Fahrtwind. Der Lagonda von Prinzessin und Konsul hat sogar einen Motor komplett aus Aluminium. Baujahr 1938, wie gesagt. Seinerzeit käuflich erworben von einem gewissen Henry Wyndham. Der liebte Pferde, schnelle Autos, schöne Frauen und hatte Geld mit dem Export von Flugzeugen aus Amerika nach England gemacht. Vom Emporkömmling zum alten Adel – Dandy Wyndham verkaufte den Wagen an den schottischen Lord Doune. Der liebte Schlösser, Autos und die Farbe des Meeres – und ließ den silbernen Schatz in dunkles Blau umlackieren.

„Preußischblau“, sagt die Preußenprinzessin und kichert. Ein kleiner Scherz zwischen dem Konsul und seiner Herzensdame. Andere Autos, andere Geschichten. Die machten schon am Nachmittag auf der Etappenpause die illustre Runde. Zum Beispiel die vom Horch vom Bäckermeister Lückel aus Herdecke. Der Horch von 1935, ein Auto wie eigens für den Hitlergruß erschaffen. Braun und beige und Cabrio, damit sich’s bei Abnahme der Triumphparade eleganter stehen lässt. Ein wenig diktatorisch eben. Erstbesitzer: NSDAP-Führerschule München. „Da geht nichts kaputt, alles original, bis auf diese Dichtung“, sagt der Bäckermeister und verschwindet im Motorraum.

Man kann es Leidenschaft nennen oder Macke. Für die einen ist es Lebensinhalt, für andere nur Hobby. Profi-Fernsehbastler Jean Pütz gondelt im BMW 507 mit acht Zylindern. Ex-Rennfahrerin Heidi Hetzer steuert einen 28er Invicta und die Prinzessin fährt im wahren Leben Golf.

Kontrollpunkt Brandenburger Tor. Der Berliner Bär in Plüsch drückt Stempel in den Tourpass und vor dem Adlon applaudieren Leute. Man winkt. Ach, wie bewegend, dieser Hauch vom Glanz der alten Tage. Und weiter geht’s. Den 17. Juni entlang, um die Goldelse herum und am Ernst-Reuter-Platz die vierte rote Ampel genommen. „Der Wagen wiegt zwei Tonnen. Wenn der einmal in Fahrt ist, dauert es ganz schön, bis er wieder steht“, sagt der Konsul entschuldigend.

Nein, sie nehmen es nicht so genau, der Konsul und seine Prinzessin – mit den roten Ampeln nicht und mit dem Sieg bei der Rallye auch nicht. Sie wollen spazieren fahren, ihren Liebling ausführen. Lange ist er noch nicht bei ihnen. Sie haben ihn gekauft vom Händler Thiesen, der ihn zuvor aus dem Schlosskeller von Lord Doune befreite.

20 Jahre hat er da gestanden. Hat sich da kaputtgestanden. Wurde liebevoll und teuerst restauriert – nicht auf Hochglanz, nein, mit edler Patina. Allein das hat über 100.000 gekostet. „Und was kostet das in toto?“, fragt der taz-Autor Fakten heischend. Immer mehr Menschen jubeln am Straßenrand. „Hmpf“, macht der Konsul. „Ahem“, macht die Prinzessin. Man kommt aus Hamburg und aus guter Stube. „Bekäme man für das Geld ein Grundstück samt Häuschen in Hamburger Randlage?“ – „Es dürfte auch zentraler liegen“, sagt der Konsul leise.