Der selbstgerechte Knecht

Sehr spannend, aber reaktionär, frauenfeindlich und rassistisch: Ian Flemings James-Bond-Thriller erscheinen zum 50-jährigen Jubiläum von „Casino Royale“ in einer neu überarbeiteten Ausgabe

von FRANK SCHÄFER

Vor fünfzig Jahren veröffentlichte Ian Fleming mit „Casino Royale“ den ersten Band seiner später auf vierzehn Teile anwachsenden Thrillerserie um einen Secret-Service-Mann. Sein Name: Bond, James Bond, auch bekannt als Geheimagent 007, ausgestattet mit der Lizenz zum Töten. Seine wichtigsten Eigenschaften: Potenz, Leidensfähigkeit, Gewieftheit. Vor allem durch die fantasie- und effektvollen, oft sehr freien Verfilmungen hat James Bond sich in die Popikonografie der Gegenwart eingeschrieben, weshalb es nur logisch ist, dass nun der Heyne-Verlag zum 50-jährigen Jubiläum die ersten vier Bond-Romane in einer vollständig überarbeiteten, leider nicht immer gut lektorierten Ausgabe vorlegt.

Nun sind diese Romane ungemein spannend, weisen aber auch eine Vielzahl handwerklicher Mängel auf. Sie sind umständlich erzählt – Fleming zitiert beispielsweise seitenlang ein populäres Voodoo-Sachbuch, um Hintergrundinformationen zu liefern. Sie stecken voller Ungereimtheiten in der Plot-Struktur – Bond schwebt ständig in Lebensgefahr, trinkt aber trotzdem gern über den Durst. Sie sind von unfreiwilliger Komik – wunderbar etwa die streng geheimen Archivnoten des Secret Service!

Mag das bei aller Spannung hinzunehmen sein, so hat man viel mehr Probleme mit dem ideologischen Knochenbau dieser Romane, mit ihrem selbst für die wertkonservativen Fünfziger komplett reaktionären Ideenskelett. Die Bond-Scholastik hat darauf zwar gelegentlich hingewiesen, aber das Gruseln stellt sich mit der Wiederauflage noch einmal neu ein.

Flemings Frauenbild zum Beispiel. In „Leben und sterben lassen“ wird mit wenigen, groben Strichen Bonds Gegenspieler Mr. Big skizziert. Wie immer bei Fleming ist er nicht nur moralisch, sondern auch optisch ein Unhold, seine Verwerflichkeit erkennt man schon an der Physiogonomie, sie ist ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Und er hat eine besondere Schwäche: „Frauen, die er in Unmengen verbrauchte.“ Le Chiffre, dem monströsen Verbrecher aus „Casino Royale“, geht es genauso, mit fast denselben Worten beschrieben. Le Chiffre kauft einen Bordellring, um „über eine unbegrenzte Zahl von Frauen für den Gebrauch zu verfügen“.

Nun könnte man meinen, hier werde auf simple, kolportagehafte Weise nur die existenzielle Amoralität der Anti-Bonds skizziert. Doch James Bond ist nicht viel besser. Als er hört, dass ihm im Kampf gegen Le Chiffre eine Frau sekundiert, muss er erst mal tief seufzen: „Frauen waren zur Entspannung da. Sonst aber standen sie nur dauernd im Wege und vernebelten alles mit ihrer Weiblichkeit, ihren verletzten Gefühlen und dem, was sie sonst noch mit sich herumschleppten. Dauernd hatte man auf sie Rücksicht zu nehmen und für sie zu sorgen.“

Sein Vorurteil bestätigt sich am Ende. Bonds Kollegin Vesper ist eine Doppelagentin, die ihn an „Rotland“ verraten und ihm Folter und eine Beinahe-Kastration (!) eingebrockt hat, wenn auch gegen ihren Willen: „Für ihn war sie nur eine Spionin. Das, was sie an Liebe und Kummer gemeinsam erlebt hatten, war in das hinterste Fach seiner Erinnerungen gestopft worden. Später würde es vielleicht einmal herausgeholt, leidenschaftslos geprüft und dann verbittert wieder weggesteckt werden, zusammen mit dem anderen sentimentalen Ballast, den er am liebsten vergessen würde.“ Bei Fleming sind Männer eben noch richtige Männer. Als solche haben sie ein konsumistisches Verhältnis zu Frauen: „Gebrauchen“, „verbrauchen“, „wegstecken“, „vergessen“ lauten die Prädikate, die den Verlauf einer idealen Beziehung beschreiben. Mehr ist „Ballast“ und behindert die Konzentration auf die wirklich wichtigen Männersachen – wie eben die Rettung der Welt vor den Russen.

Noch schwerer fällt es, Flemings fast chauvinistische Vaterlandsliebe und vor allem seinen forcierten Antikommunismus zu begreifen. Kalter Krieg, atomares Wettrüsten, ideologische Grabenkämpfe, hier regiert die Propaganda der Fünfziger- und Sechzigerjahre – etwa wenn in „Moonraker“ eine Zusammenarbeit der Sowjets mit dem unverbesserlichen Nazi und Englandhasser Drax imaginiert und ihnen unterstellt wird, dass sie bedenkenlos London mit einer Atomrakete vernichten würden.

Schließlich gibt es auch noch solche Sätze: „Es war heiß, die Luft war stickig; es roch nach Rauch und, leicht süßlich, nach zweihundert Farbigenleibern.“ Das ist blanker Rassismus, der „Leben und sterben lassen“ fast durchgängig durchzieht: Indem der „riesige Neger“ Mr. Big den Voodoo-Aberglauben, der „im Unterbewusstsein der Farbigen noch tief und ursprünglich eingewurzelt ist“, geschickt für sich instrumentalisiert, sich als Zombie des Fürsten Samedi ausgibt, eines Quasiteufels der Voodoo-Mythologie, macht er beinahe alle Afroamerikaner zu angstvollen Erfüllungsgehilfen und somit zu einer Art fünften Kolonne, die letztlich von „Smersh“, der russischen Agenten-Spezialeinheit, gesteuert wird. Die Black Community wird somit zum Staat im Staat und als solcher eine stets gegenwärtige nationale Gefahr – ein bewährtes Vorwurfsmuster zur Diskreditierung unliebsamer Ethnien.

Doch es geht noch weiter. Mr. Big ist zwar „ein verdammt guter Ganove“, wie Bonds Kollege Felix Leiter einräumen muss, aber er ist es eben nur „dank der Ausbildung durch unseren Geheimdienst und durch Moskau“. Als „Neger“ hätte er diese exponierte Position niemals erreichen können. Und da zweifelt dann auch ein „Aficionado von Harlem“ wie Leiter: „Ich bewundere die Art, wie die Schwarzen sich langsam hocharbeiten, obgleich der Himmel weiß, wie es ausgehen wird.“

Damit haben wir eigentlich alle gängigen Vorurteile aus der rassistischen Waffenkammer beisammen: Die Schwarzen riechen eigenartig, stehen auf einer niederen Stufe der Zivilisation, sie sind abergläubisch, als Staatsbürger unsichere Kantonisten, also eine latente Gefahr. Fehlt nur noch ein letztes Stereotyp: Sie wären am liebsten weiß! Als Leiter und Bond durch Harlem pilgern, „schaute Bond immer wieder in die Schaufenster. Er war betroffen von der Unzahl von Friseuren und Schönheitssalons. Allen gemeinsam war die Reklame für Frisiermittel zum Glätten der Haare … sowie für Geheimmittel zum Bleichen der Haut.“

Die Infamie der Fleming-Romane steckt zu schlechter Letzt auch noch in Bonds Charakter selbst. Fleming schuf einen Helden, der unheldischer gar nicht sein kann. Einen kalten, funktionalen, sich bis zur Selbstverleugnung der Aufgabe unterordnenden Dienstleister! Einen Angestellten, der für sein Seelenheil nichts weiter braucht als den Auftrag, den er zur vollsten Zufriedenheit seines Dienstherrn erledigt. Nebenbei verschafft er sich Befriedigung in Form eines mondänen Lebenswandels.

Bond ist ein selbstgerechter Knecht im Zeichen des Wirtschaftswunders, der seine moralischen Skrupel bei Miss Moneypenny abgegeben hat. Dass er immer wieder über Leichen geht, ficht ihn nicht an, schließlich kämpft er für die gerechte Sache. Nur ein einziges Mal, gleich im ersten Buch, stellt er seine Doppelnull grundsätzlich ethisch in Frage, geraten ihm „Gut“ und „Böse“ etwas durcheinander. Aber nur kurz. Denn schon springt ihm sein französischer Partner Mathis zur Seite und schärft ihm einen moralischen Pragmatismus ein, dem sich Bond dann tatsächlich beugt: „Wenn Sie wieder in London sind, werden Sie feststellen, dass es noch eine Menge Le Chiffres gibt, die versuchen, Sie, Ihre Freunde und Ihr Land zu vernichten … und Sie werden sie zu vernichten versuchen, um sich selbst und die Menschen, die Sie gern haben, vor ihnen zu schützen.“ Mehr braucht es nicht an moralphilosophischer Raffinesse, um den Zweifler davon zu überzeugen, dass er gefälligst seine Pflicht zu erfüllen habe!

Es ist schon merkwürdig, ja geradezu gespenstisch, dass kaum zwanzig Jahre nach der bürokratisierten Barbarei der Nazis sich schon wieder alle Welt ausgerechnet einen Menschen wie Bond zum Helden auserkoren hatte.

Ian Fleming: „James Bond. Casino Royale“, 224 S; „Leben und sterben lassen“, 272 S.; „Moonraker“, 240 S.; „Liebesgrüße aus Moskau“ erscheint im Dezember; alle im Heyne-Verlag, München 2003, je 6,95 €.