: Beobachter: Professor Songs Rechte verletzt
Ein deutscher Anwalt wirft der südkoreanischen Justiz im Prozess gegen den deutsch-koreanischem Soziologen den Bruch internationaler Mindeststandards vor. Zudem seien dessen Haftbedingungen in Seoul „eine Form der Folter“
BERLIN taz ■ Schwere Vorwürfe gegen die südkoreanische Justiz erhebt der Bremer Anwalt Hans-Eberhard Schultz im Fall des in Seoul zu sieben Jahre Haft verurteilten Münsteraner Soziologieprofessor Song Du-yul. Die „Verurteilung aufgrund des nationalen Sicherheitsgesetzes verstößt gegen die Grund- und Menschenrechte der Meinungs- und der Wissenschaftsfreiheit“, sagte Schultz am Samstag in Berlin. Dort berichtete er über den gegenwärtigen Berufungsprozess in Seoul, den er für deutsche Organisationen wie den Korea-Verband und die Berliner Rechtsanwaltskammer beobachtet.
Laut Schultz sei der 59-jährige Song aufgrund unklar definierter Straftatbestände wie „Flucht in Feindesland“ und wegen fragwürdiger Indizien verurteilt worden. So habe das Gericht einem nordkoreanischen Überläufer geglaubt, Song sei Mitglied von Nordkoreas Politbüro, obwohl der Zeuge das nur vom Hörensagen erfahren habe. Die Aussage von Südkoreas Wiedervereinigungsministerium, über eine Politbüromitgliedschaft Songs lägen keine Erkenntnisse vor, sei dagegen nicht berücksichtigt worden. Auch habe das Gericht belastende Daten auf einer Festplatte Glauben geschenkt, die angeblich aus Nordkoreas Berliner Botschaft stammte, ohne zu überprüfen, ob sie manipuliert worden seien.
Die Verhandlung am 16. Juni, bei der es um Songs wissenschaftliche Arbeit ging, erinnert Schultz „an mittelalterliche Inquisitionsprozesse über die Meinung und Gedanken von Ketzern“. Auffällig sei gewesen, dass bei einer Zeugenbefragung die Staatsanwaltschaft immer wieder auf Songs Mitgliedschaft in Nordkoreas Partei der Arbeit zu sprechen gekommen sei und überhaupt nicht auf die Politbüromitgliedschaft. „Offensichtlich glaubt die Staatsanwaltschaft selbst nicht daran“, so Schultz. Song bestreitet eine Mitgliedschaft im Politbüro, räumte eine in der Partei aber ein, die eine Bedingung für seine Nordkorea-Forschung gewesen sei.
Scharf kritisiert Schultz die Haftbedingungen. Song sei in einer drei Quadratmeter kleinen Zelle untergebracht, die keinen Stuhl und keinen Tisch habe. Doch da er noch nicht rechtskräftig verurteilt sei, müsse Song das Arbeiten in seiner Zelle ermöglicht werden, weil dies sonst gegen die Unschuldsvermutung verstoße. Die 24-stündige grelle Neonbeleuchtung der Zelle ist laut Schultz „eine Form der Folter“. Zudem sei die Zelle im Winter nicht geheizt und im Sommer zu heiß, da sie direkt unterm Dach sei. Schultz schloss sich auch der Bewertung von amnesty international an. Die Menschenrechtsorganisation nennt Song einen „Gewissensgefangenen“ und seine tagelangen Verhöre durch den Geheimdienst, die meist ohne Zulassung eines Anwalts stattfanden, eine „grausame, inhumane und erniedrigende Behandlung“.
Am Mittwoch endet voraussichtlich das erste Berufungsverfahren mit den Plädoyers. Das Urteil wird in zwei bis vier Wochen erwartet. Schultz rechnet nicht mit Freispruch. Song war im September nach 36-jährigem Exil in Deutschland nach Südkorea zurückkehrt und sofort vom Geheimdienst verhört, dann angeklagt und Ende März verurteilt worden. Mit dem Fall versuchten konservative Kreise, die Regierung des linksliberalen Präsidenten Roh Moo Hyun zu diskreditieren. Sie hatte Song zu einer Rückkehr ermutigt.
Der Professor hatte sich im Exil für eine Annäherung der beiden koreanischen Staaten eingesetzt und Symposien für Wissenschaftler aus Nord und Süd organisiert. Damit war er Konservativen ein Dorn im Auge, zumal er ein scharfer Kritiker der südlichen Militärdiktatur war. Die Berufung hatten sowohl Songs Anwälte als auch die Staatsanwaltschaft veranlasst. Die Anwälte hatten Freispruch, die Staatsanwaltschaft 15 Jahre Haft gefordert. SVEN HANSEN