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Archiv-Artikel

Direktor Ali und die Stromräuber

Ali Taleb Ali leitet ein Elektrizitätswerk nahe Bagdad. Plünderer verwüsteten die Einrichtungen gleich nach dem Kriegsende, Wiederaufbauhilfe und US-Militärschutz sind knapp. Und wenn Strom produziert wird, klaut garantiert jemand die Kabel

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Der Mann hat einen Job, den man dieser Tage nicht geschenkt haben möchte. Ali Taleb Ali ist der Chef des Elektrizitätswerkes al-Quds nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad. Wo andere verzweifeln würden, beginnt für ihn und seine Ingenieure das weite Feld der Improvisation. „Wie produziert man mit fast nichts Strom“, lautet ihre tägliche Aufgabe. Im Moment schaffen sie es zusammen mit drei anderen E-Werken, Bagdad 2 Stunden am Tag mit Elektrizität zu versorgen. Die anderen 22 Stunden schwitzt die Fünfmillionenstadt bei bis zu 50 Grad Außentemperaturen vor sich hin, während in abgeschalteten Kühlschränken nur Trockennahrung aufbewahrt wird. „Wir versuchen unser Bestes“, sagt Taleb Ali, „mit dem, was wir zur Verfügung haben.“ Und das ist nicht viel.

Es mangelt an allem. Das E-Werk fährt nur auf der Hälfte seiner Kapazität, weil in einem der ölreichsten Länder der Welt ständig die Lieferungen für den Treibstoff ausbleiben, der für den Antrieb der Turbinen gebraucht wird. Sämtliche Ersatzteile und Werkzeuge wurden in der Woche nach dem Krieg von Plünderern gestohlen. Außerdem geht Taleb Alis Budget gegen null. Seit fünf Monaten bezahlt im regierungslosen Bagdad niemand Stromrechnungen.

Während er all das erzählt, sitzt der Herr über Bagdads Stromversorgung in seinem Büro. Da, wo früher die Steckdosen für die Computer installiert waren, ragen heute nur noch ein paar Drähte aus der Wand. Die Plünderer hatten alles mitgenommen. Selbst in den Safe hatten sie ein Loch gesprengt. „Als wir eine Woche nach dem Krieg zurück zu unserem Arbeitsplatz kamen, war nichts mehr da. Die Verwaltungsbeamten und Ingenieure mussten auf dem Boden sitzen“, erinnert er sich.

Inzwischen hat er 1.200 Dollar von den staatlichen Strombetrieben erhalten, um wenigstens das Nötigste wieder einzukaufen. Seitdem gibt es wieder Türen und Fenster, Plastikstühle und Lampen. Die Schreibtische sind das Geschenk einer Moschee.

Alle 280 Mitarbeiter sind wieder zurück, mit Ausnahme der 30 Frauen. Die Fahrt zum Werk durch unbewohntes Gebiet ist ihnen zu gefährlich. Immer wieder sind in den letzten Wochen junge Frauen auf offener Straße von Unbekannten entführt worden. Außerdem gibt es immer noch keine Toiletten im Werk. Wer muss, geht aufs freie Feld – für die Frauen ein inakzeptabler Zustand. „Wenn es sicherer wird, werden sie wiederkommen“, hofft Taleb Ali.

Eigentlich sind die US-Besatzer für Iraks staatliche Dienstleistungen verantwortlich. Sie haben auch technische Beratung angeboten. „Ich habe genug gut ausgebildete Fachleute“, antwortete Taleb Ali. „Was wir brauchen, ist Sicherheit, Geld, Werkzeuge und Ersatzteile.“ Immerhin haben US-Soldaten im ersten Monat nach dem Krieg das eine halbe Autostunde von Bagdad auf freiem Feld befindliche Werk bewacht. Doch dann zogen sie überraschend ab, und seitdem hat vor allem die Nachtschicht Angst vor Überfällen. „Ich habe sechs Wächter, aber nur eine Waffe“, beschreibt Taleb Ali die Lage. Die US-Amerikaner hätten Waffen versprochen und haben auch Fotos von den Wächtern gemacht, angeblich um ihnen eine Waffenlizenz zu erteilen. Seitdem ist nichts mehr passiert.

Sämtliche Maschinen im Werk sind amerikanischer Bauart, aus einer Zeit, in der die USA mit Saddam Hussein noch blühende Geschäfte machten. Alle Maschinenteile werden statt in Zentimetern in Inches gemessen. Taleb Alis Problem: Auf dem hiesigen Markt gibt es keine Werkzeuge für diese Maßeinheit. „Ich habe die US-Soldaten gefragt, ob sie mir wenigstens die Inch-Werkzeuge aus ihren Militärfahrzeugen leihen könnten – nichts“, sagt der 41-Jährige.

Und wenn es seine Ingenieure unter diesen widrigen Umständen doch schaffen, etwas zu reparieren, wird es am nächsten Tag gestohlen. Das größte Problem ist nicht das Werk selbst, sondern die Verteilung des erzeugten Stromes. Immer wieder werden die Kabel von den Strommasten von Dieben heruntergeholt. Das wertvolle Kupfer und Aluminium in den Drähten wird eingeschmolzen und durch die kurdischen Gebiete in den Iran geschmuggelt. Immer wieder haben Taleb Ali und die Seinen die US-Amerikaner aufgefordert, die Hauptleitungen durch Hubschrauber abfliegen zu lassen – bisher umsonst.

Für die Menschen in Bagdad sind das alles technische Details. Sie sind einfach wütend, dass sie fast drei Monaten nach Kriegsende immer noch keinen Strom haben, und ihre Wut richtet sich nicht nur gegen die Amerikaner. „Immer wieder hören wir von Freunden und Verwandten Vorwürfe, wir würden in unserem E-Werk nichts tun“, erzählt der Direktor. So erzählen er und seine Mitarbeiter Unbekannten nicht, wo sie arbeiten – aus Angst.

Der engagierte Taleb Ali leitet das Werk erst seit zwei Monaten. Der ehemalige Direktor, ein Mitglied von Saddam Husseins Baath-Partei, wurde auf einer Mitarbeiterversammlung abgesetzt. „Das ist unsere neue Freiheit, wir haben keinen Strom und wir können nicht arbeiten, aber wir können unseren Direktor selber wählen“, witzelt Taleb und meint: Vielleicht ist die ganze gegenwärtige Hoffnungslosigkeit eine Art „Freiheitssteuer“.