: Pragmatiker, keine Kannibalen
Die Schröder-Enkel wollen mehr Einfluss in der SPD. Ihre Ziele wollen sie jedoch auf anderen Wegen erreichen als die sich selbst zerfleischenden 68er
von JENS KÖNIG
„140 Jahre ist die SPD gerade geworden. In welcher Partei war Johannes Rau eigentlich vor dieser Zeit?“ Was haben sie nicht alle gelacht in der SPD, als Harald Schmidt sich vor ein paar Wochen über den Bundespräsidenten lustig machte. Sie haben gelacht, weil sie dachten, das sei ein guter Witz. Johanns Rau ist immerhin schon 72 Jahre alt. Dabei war das, was Harald Schmidt sagte, gar nicht lustig. Es war eine bitterernste Analyse. Nicht nur über Rau. Sondern auch über die SPD-Führung. Die 68er. Die Enkel von Willy Brandt. Sie waren ja alle mal jung, aber merken gar nicht, wie alt sie inzwischen geworden sind.
Gerhard Schröder, SPD-Chef, 59. Seine Stellverteter: Wolfgang Clement 63. Renate Schmidt 59. Rudolf Scharping 55. Wolfgang Thierse 59. Heidemarie Wieczorek-Zeul 60. Zehn von dreizehn Mitgliedern des SPD-Präsidiums sind im Krieg oder kurz danach geboren. Keine andere Parteiführung in Deutschland ist älter.
Dagegen will die Generation der Schröder-Enkel jetzt etwas tun. Sie will mehr Einfluss in der Partei. Sie will mehr Posten. Zu ihr gehören amtierende oder ehemalige Ministerpräsidenten wie Matthias Platzeck (Brandenburg, 49) und Sigmar Gabriel (Niedersachsen, 43), Landesvorsitzende wie Ute Vogt (Baden-Württemberg, 38), Christoph Matschie (Thüringen, 42) und Heiko Maas (Saarland, 36) sowie jüngere Bundestagsabgeordnete des Berliner „Netzwerks“, unter ihnen Nina Hauer (35), Hans-Peter Bartels (42) und Kerstin Griese (36). Anfang Juli waren sie das erste Mal in dieser Runde zusammen, weitere Treffen sollen folgen. Sie wollen einen nachhaltigen Reformkurs der SPD festschreiben und jüngere Genossen in der Parteispitze platzieren.
Die SPD-Nachwuchsleute haben erkannt, dass sie sich auf das Wohlwollen der Alten nicht mehr verlassen können. Die Schröders, Münteferings und Wieczorek-Zeuls haben die Jungen immer nur dann gefördert, wenn sie ein jugendliches Aushängeschild brauchten, etwa als 2001 die damals 36-jährige Ute Vogt bei der Wahl in Baden-Württemberg gegen den Politopa Erwin Teufel antrat. Als Belohnung für ihre ehrenvolle Niederlage im schwarzen Ländle durfte Vogt kurze Zeit später als junge Frau das SPD-Präsidium schmücken. Mit diesem Paternalismus soll jetzt Schluss sein. „Unsere Generation muss ihre Ansprüche deutlich formulieren“, sagt Heiko Maas. „Wir dürfen nicht erwarten, dass uns irgendjemand um etwas bittet.“ Für den jungen saarländischen Landeschef hat die Generation der 68er in der SPD einen Teil ihrer Glaubwürdiggkeit verspielt. „Die haben es sich auf ihren Stühlen bequem gemacht.“
Und sie haben Beziehungen aufgebaut, die auch nach 30 Jahren noch funktionieren. „Wir dagegen müssen unsere Zusammenhänge erst mühsam herstellen“, sagt der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels. Er sei mit Maas z. B. erst drei-, viermal zusammengetroffen. Außerdem würden die Nachwuchsgenossen sehr unterschiedliche politische Positionen vertreten. Ihre Zusammenarbeit sei mühsam und anstrengend, so Bartels, funktioniere aber. Die pragmatischen, unideologischen „Netzwerk“-Abgeordneten haben Anfang Juli ein Papier über die grundsätzliche Reform der Sozialversicherungen vorgelegt, das auch ein Linker wie Maas gut findet. Darin wird gefordert, die soziale Absicherung der Bürger weitaus stärker über Steuern als über Beiträge zu bezahlen. „Die Jüngeren in der SPD müssen eine politische Plattform bilden“, fordert Maas, „keine Generationenplattform.“ Im Herbst wollen sie mit einem Grundsatzpapier die Debatte über das neue, für 2005 geplante SPD-Programm vorantreiben.
Die personellen Ansprüche der Jungen auf die neue SPD-Führung, die auf dem Parteitag im November gewählt wird, sind hgniegen relativ bescheiden. Ute Vogt soll für Renate Schmidt stellvertretende Parteichefin werden. Einer der Männer – Matschie, Gabriel oder Platzeck – soll ins Präsidium aufrücken. Aber richtig gegen die Alten kämpfen, sie verdrängen? „Wir wollen uns anders durchsetzen“, sagt Bartels. Gabriel will nicht den „Kannibalismus“ der Schröder-Generation, dieses gegenseitige Bekämpfen, wiederholen: „Die Älteren müssen Platz machen“, sagt er, „aber die Jüngeren müssen auch warten können.“