: Große Pannen, wichtige Lücken
27 Seiten des Berichts blieben weiß. Wichtige Informationen, die mögliche Verwicklung Saudi-Arabiens betreffend, hält die Regierung unter Verschluss
aus Washington MICHAEL STRECK
Die Abwesenheit hat Symbolkraft: Immer wenn es in den letzten Wochen für die US-Regierung brenzlig wurde, hatte George W. Bush gerade Washington verlassen. Den Brand mussten andere löschen. Als der gefälschte Uranhandel zwischen Irak und Niger aufflog, reiste der Präsident gerade durch Afrika und entzog sich tagelang quälenden Fragen. Auch als der US-Kongress am Donnerstag seinen Abschlussbericht über die Untersuchungen zu den Terroranschlägen vom 11. September und die Rolle von Geheimdiensten sowie Bundespolizei vorlegte, ließ er sich lieber von republikanischen Wählern im Mittleren Westen feiern. Kein Wunder, dass die vom Volk bislang am meisten geschätzte Eigenschaft ihres Präsidenten, seine Führungsstärke, in den Augen vieler zu verblassen beginnt.
Der Bericht, erstellt von einem gemeinsamen Ausschuss aus Mitgliedern von Senat und Abgeordnetenhaus, geht hart mit FBI und CIA ins Gericht. Kommunikationsmangel zwischen den beiden Behörden habe die Anschläge möglicherweise begünstigt. Statt sich auf die Terrorbekämpfung zu konzentrieren, seien sie in Rivalitäten und Machtkämpfe verstrickt gewesen. Die entscheidende Frage, ob die Anschläge hätten verhindert werden können, beantwortet die Kommission salomonisch. Sie geht nicht so weit, CIA und FBI direkt vorzuwerfen, durch ihre Fehler den 11. September erst möglich gemacht zu haben. Doch Ermittler und Geheimdienstler hätten die Pläne der Terroristen vereiteln können.
Das 800 Seiten umfassende Papier lag im Wesentlichen bereits vor sieben Monaten vor. Doch Weißes Haus und CIA durchkämmten den Bericht aus angeblichen Sicherheitsgründen, bevor sie ihn zur Veröffentlichung freigaben. 27 Seiten blieben jedoch weiß, deren Erkenntnisse wurden zurückgehalten. Hierbei handelt es sich vor allem um Passagen, die die Rolle Saudi-Arabiens und mögliche Finanzquellen der Flugzeugentführer im Königreich beleuchten. Die Demokraten reagierten mit scharfer Kritik und warfen der Regierung „Zensur“ und „Vertuschungsmanöver“ vor. „Es gibt offenbar eine systematische Strategie der Verschleierung, wenn es um die Saudis geht“, monierte Senator Charles Schumer aus New York.
Obwohl die Details über die Verwicklung der Saudis nicht veröffentlicht wurden – die saudischen Behörden werden angeblich als „unkooperativ“ beschrieben –, dürfte der Bericht Öl ins Feuer der seit dem 11. September angespannten Beziehungen zwischen Amerikanern und Saudis gießen. Empört meldete sich denn auch der saudische Botschafter in Washington zu Wort. „Die Idee, dass die saudische Regierung den 11. September finanzierte oder vorab informiert war, ist böswillig und offensichtlich falsch“, erklärte er.
Die oppositionellen Demokraten nutzen den Untersuchungsbericht zur generellen Abrechnung mit der oft als „hermetisch“ beschriebenen Informationspolitik der Bush-Regierung. „Wir haben niemals alles Material bekommen, das wir vom Nationalen Sicherheitsrat angefordert hatten“, klagte Nancy Pelosi, die Fraktionschefin der Demokraten im Abgeordentenhaus. Die Regierung habe dem Land keinen Gefallen getan, indem sie wichtige Informationen weiterhin unter Verschluss halte.
Ironischerweise rückte am gleichen Tag ausgerechnet Bushs Chefsicherheitsberaterin Condoleezza Rice ins Rampenlicht neuer Vorwürfe über den fragwürdigen Umgang mit Geheimdienstinformationen im Vorfeld des Irakkrieges. Vor drei Tagen hatte ihr Stellvertreter, Stephen Hadley, die Verantwortung für die falschen Behauptungen zum Uranhandel zwischen Irak und Niger in Bushs Rede an die Nation übernommen. Daraufhin forderte Kolumnist Richard Cohen in der Washington Post den Rücktritt von CIA-Chef George Tenet, da er sich vor den Karren der Regierung spannen ließ. Er schlüpfte vor allem nach Schuldzuweisungen von Rice bereitwillig in die Rolle des Sündenbocks, wurde jedoch durch Hadleys Geständnis entlastet. Seine Glaubwürdigkeit ist dahin, die Unabhängigkeit seiner Behörde steht auf dem Spiel. Und zudem repräsentiert er nunmehr einen Geheimdienst, der vor dem 11. September versagt hat.
Als Lehre aus den Anschlägen bemühen sich CIA und FBI um Reformen, wissend, dass sie sich eine zweite schwerwiegende Panne nicht werden leisten können. So soll die CIA stärker Bedrohungen auch innerhalb der USA analysieren. Die Kommunikation zwischen beiden Institutionen soll verbessert werden. Dazu wurde ein gemeinsames Antiterrorzentrum errichtet und wurden rund 3.000 neue Mitarbeiter eingestellt. „Doch eine Strafverfolgungs- in eine Terrorbekämpfungsbehörde umzuwandeln, könnte schlichtweg nicht möglich sein“, zweifelt die New York Times. „Es ist unklar, ob die Reformen so rasch umgesetzt werden, dass sie einen neuen Anschlag verhindern können.“ Eine der zentralen Forderungen des Berichts, einen Geheimdienstkoordinator im Ministerrang zu berufen, wird vom Weißen Haus bislang ignoriert.