: Das Cabinet des Herzog Anton-Ulrich
Braunschweig feiert 250 Jahre Museum – oder sogar noch mehr. Zum Jubiläum blickt man mit einer Ausstellung in der Burg Dankwarderode auf die Anfänge der eigenen Sammlung als wunderbare Wunderkammer randvoll mit erbaulich-schaurigen Schätzen. Ein Rundgang von Annedore Beelte
von Annedore Beelte
Sammelwut und Scharteken-Kriege
Die Diagnose ist klar: Schon Heinrich der Löwe war mit der Braunschweigischen Sammelwut infiziert. Das hier konnte er unmöglich stehen lassen: eine grünlich-glatte Granitsäule, tonnenschwer und in etwa so hoch wie der kleine Herzog mit dem Löwenbewusstsein. Man raunte, Jesus selbst sei an dieser Säule gegeißelt worden.
Nachweislich hat der Welfenherzog eine ganze Fuhre Scharteken von seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land mitgebracht. Daher hat die Legende, die sich im 18. Jahrhundert um die Herkunft der fremdartigen Säule im Eingang des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts rankte, ihre Berechtigung. Zu dieser Zeit sah das ehrwürdige Stück an den Rändern schon reichlich angefressen aus. Blessuren, die man den Katholiken anlastete: Die hätten sich, hieß es, von der Reliquie flink ein Paar Krümel beiseite geschafft.
Dass die Säule jetzt auch im Eingang der Jubiläumsschau zum 250. Geburtstag des Herzog-Anton-Ulrich-Museums liegt, bedeutet zweierlei. Erstmal erweist sie Herzog Carl I. ihre Reverenz, der das Kabinett 1754 gründete. Seine Büste musste lange Zeit auf eben dieser Säule thronen obwohl er selbst sie bescheidener platziert hatte. Kurator Alfred Walz aber hat der Büste wieder ihren passenden Sockel verschafft, und die Säule liegt ihr respektvoll zu Füßen.
Dieser exponierte Platz zeigt auch, dass die Braunschweiger Kuriositäten-Kriege noch längst nicht beendet sind. Im 18. Jahrhundert rangen die Gelehrten von Hof und Universität um den Aufstellungsort der Schätze. Heute: Die Säule, berichtet Alfred Walz erbittert, sei von den Machern der monumentalen Gedächtnisausstellung zum 800. Todestag Heinrichs des Löwen als Star-Objekt verschmäht worden. Eine Fehde, die ihn neun Jahre lang umtrieb. Hier hat er seine Genugtuung bekommen.
British Museum eingeholt?
Herzog Anton Ulrich, der Namensgeber des Museums, wusste still zu genießen: Gemälde, italienische Majoliken, französische Emaillen, ostasiatische Lackarbeiten und auch – warum nicht – die ein oder andere Seeigeldose sammelte er im Schloss Salzdahlum, seinem hölzernen Traum von Versailles. Der Barockfürst präsentierte die Sammlung, kenntnisreich geordnet, nur erlesenen Besuchern. Sein Großneffe und Erbe Carl I. dagegen, ganz mustergültiger Herrscher der Aufklärung, wollte zur Bildung seiner Untertanen beitragen. Er machte das Kunst- und Naturalienkabinett mitten in der Stadt öffentlich zugänglich. Öffentlich – das hieß im Eröffnungsjahr nicht einmal 200 eingetragene Besucher. Es kamen Gelehrte wie Lessing und Johanna Schopenhauer ebenso wie zur Messezeit Kaufleute aus Leeds oder Sheffield.
Für diesen denkwürdigen Zeitpunkt hat man allgemein das Jahr 1754 angenommen. Doch platzte mitten in die Planungen für das Jubeljahr das neu entdeckte Zeugnis eines Hamburger Gelehrten. Der berichtete bereits ein Jahr zuvor angetan von seinem Besuch. Dann, so rechnet Kurator Alfred Walz schwindelerregend vor, läge man mit dem British Museum in puncto Alter gleichauf!
Ein Onyxgefäß für eine Grafschaft
Platz vier in der Hitliste der meistbesuchten Archäologie-Ausstellungen hat das Braunschweiger Mega-Projekt Troja. Traum und Wirklichkeit von 2001 erklettert, berichtet Museumsdirektor Jochen Luckhardt. Auch Heinrich der Löwe und seine Zeit war 1995 ein großer Erfolg. 250 Jahre Museum ist kein solches Großprojekt geworden. Eher ein liebevoll-akribisch aufgearbeitetes Kabinettstückchen. Zielgruppe: Freunde des Abseitigen und Kuriosen. Nach 250 Jahren wieder in der Burg Dankwarderode zu sehen: der Indianerskalp und die Modelle der Lissaboner Erdbebenruinen. Die aus Muschelsekret-Fäden gestrickten Strümpfe und das berühmte Mantuanische Onyxgefäß, „ein Meisterwerk antiker Steinschneidekunst“, wie der Katalog lehrt. Herzog Ferdinand Albrecht I. hat im 17. Jahrhundert versucht, jenes Salbölfläschchen gegen die Statthalterschaft in Tirol einzutauschen. Vergeblich.
Goethes Gier nach dem Elefantenbaby
Es ist gerade mal unterarmlang, zeigt aber schon das typisch undurchdringlich-spaßige Elefantengesicht. Das eingelegte weiße Elefanten-Embryo weckte sogar bei Goethe Begehrlichkeiten. Für seine Forschungen über den menschlichen Zwischenkieferknochen plante er, dem Elefanten ins Maul zu schauen. „Ich wollte wir hätten den Fötus… in unserem Kabinette, er sollte in kurzer Zeit, seziert, skeletiert und prepariert sein. Ich weiß nicht wozu ein solches Monstrum in Spiritus taugt, wenn man es nicht zergliedert und den innern Bau aufklärt“, gierte der Meister.
Naturwissenschaftliche Studienobjekte, getrocknet, ausgestopft oder in Spiritus eingelegt, waren ein Sammlungsschwerpunkt der Aufklärung. Carl ließ gleich im großen Stil zuschlagen und schaffte ganze Komplexe von Mineralien, Pflanzen und Tierpräparaten an. Damit steht er für den neuen Sammlertyp, wie Kustos Alfred Walz erklärt: Vom lustvollen Anschaffen begehrter und skurriler Objekte hin zum Sammeln als Vorarbeit für systematische Forschung. Die Besucher begrüßte im Treppenhaus der wache Blick Carl von Linnés, des Urvaters der Systematik in Flora und Fauna. Das Interesse Carls war vom Nutzgedanken geleitet. Völkerkundliches findet sich – wie der in einen Holzreifen gespannte Skalp, den ein Braunschweiger Söldner aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg mitgebracht hat (siehe Abbildung). Vor allem aber sammelte der Herzog Modelle von Bau- und Landmaschinen, die heute verschollen sind. Überlebt aber hat die Hülle des ersten Braunschweiger Heißluftballons von 1784 mit der ehrgeizigen Aufschrift „Ad Astra “– zu den Sternen. Die mit Kautschuk imprägnierte Seide ist rissig und faltig wie alte Haut, von ihrer unbemannten Expedition ins immerhin 75 Kilometer entfernte Dambek gebeutelt. „Die Aufklärung kann man nicht auf Wissenskultur reduzieren“, zieht Walz Bilanz. Wichtig war auch, den individuellen Geschmack zu entwickeln und das Staunen nicht zu verlernen.
Zugig, bröcklig, undicht
Das Sammlungsmodell „Kunst- und Naturalienkabinett“ hatte im 19. Jahrhundert ausgedient. Als der Kunstkammer-Bestand 1815 aus napoleonischer Gefangenschaft zurückkehrt, wird er mit der Gemälde-Sammlung vereinigt. Durch das „Einrücken der Gemälde“– da besteht Kurator Alfred Walz auf einer martialischen Metapher – habe sich Kunstgewerbe in der Wertschätzung untergeordnet. Eine Hierarchie, gegen die es nach wie vor anzukämpfen gilt. Nicht gerade ein Renner unter jungen Kunstfreunden ist beispielsweise die fast vollständige Sammlung Fürstenberger Porzellans. Obwohl sie fast allein die Beweislast dafür trägt, dass „Rokoko auch in Braunschweig stattfand“.
Wenn Museumsdirektor Jochen Luckhardt von spektakulären Neuzugängen berichtet, fallen ihm spontan zwei Gemälde ein: Ludger tom Rings Selbstporträt von 1547 und die Tafel des Peter-und-Paul-Altares aus der Hildesheimer Lambertikirche. Dabei gäbe es doch eine brandaktuelle Dauerleihgabe zu erwähnen: Herzog Carls Prunkgeschirr, mit Landschaften verziert von Hofmaler Weitsch!
Rund die Hälfte des Etats, darauf ist Luckhardt stolz, wirbt er als Drittmittel von Sponsoren ein. „Suchen Sie mal ein Museum von dem Format in Niedersachsen!“. Da beißen die Mäzene leicht. Doch sie erwärmen sich nur für Prestigeträchtiges. Den laufenden Betrieb trägt das Land. Und das lasse, klagt der Direktor, „die Bausubstanz den Bach runtergehen“. Zugige Fenster, bröckelnder Putz, das Dach undicht – der Bau schreit nach Renovierung.
Luckhardt steht vor seinem Bücherschrank, in dem drei Borde mit Katalogen gefüllt sind: das oberste mit denen des Museums seit 1754, das mittlere, nur bis zur Hälfte, mit jenen aus der Zeit seines Vorgängers, und das untere, zeigt er, berstend voll, mit den unter seiner Ägide erstellten Werken. Das nächste Projekt? Der Direktor gibt sich bescheiden: „Das Museum fit machen fürs 21. Jahrhundert.
Das älteste Museum DeutschlandsName: Herzog Anton Ulrich-Museum – Kunstmuseum des LandesGebäude: Museumsstr. 1 / Burg Dankwarderode, Burgplatz 1; Öffnungszeiten: Di-So., 10-17, Mi. 13-20 UhrGründungsjahr: 1754 (?)Jahresetat: 3,29 Millionen EuroSammlungsprofil: Europäische Malerei bis 1800, Skulpturen bis 1800, europ. Kunsthandwerk, Ostasiatika, Grafik vom Mittelalter bis heute, Sammlungsgeschichte der frühen NeuzeitJubiläums-Aktivitäten: (Ba-)Rock Around Anton Ulrich, am 2./3. JuliAusstellung: 250 Jahre Museum, Burg Dankwarderode. Bis 22. August. Katalog 29,80 Euro, DVD 16,90 EuroWeitere Jubiläums-Schauen: Neue Ansichten vom Ich (beendet) und Peter Paul Rubens – Barocke Leidenschaften, (ab 8.8.)-Web: museum-braunschweig.de