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Archiv-Artikel

„Die Gegenseite wird kaum Terrain räumen“

Die Freilassung seines Mandanten wird lange dauern, sagt Bernhard Docke, der den gefangenen Murat Kurnaz aus Bremen vertritt

taz: Sie gehören zu denen, deren Klage vor dem Obersten Gerichtshof die Politik der US-Regierung zu Guantánamo als rechtsfreier Raum erschüttert hat. Fühlen Sie sich als Sieger?

Bernhard Docke: Ach, die Freude ist begrenzt. Wir stehen jetzt erst am Anfang – und das, worüber wir uns freuen können, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Der Skandal ist doch, dass wir zwei Jahre für die Selbstverständlichkeit kämpfen mussten, dass Gefangene die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung vor zivilen Gerichten prüfen lassen können. Bisher sind wir immer an der Arroganz der Macht abgeprallt.

Wird Ihr Mandant vom Urteil erfahren?

Wir wissen, dass es zu den Verhörtaktiken des Militärs gehört, das Gefühl von Zeit und Raum zu zerstören und Gefangene von der Außenwelt zu isolieren. Wir wissen auch, dass Guantanamo quasi das Probierfeld für die Folterverhöre in Abu Ghraib war. Das alles könnte später Gegenstand von Schadenersatzklagen gegen den amerikanischen Staat werden. Zunächst wird es darauf ankommen, dass die Bush-Regierung uns schnell und zeitnah Zugang zu den Gefangenen und Akteneinsicht gewährt.

Was kommt jetzt?

Das Urteil ist noch jung. Wir werden es gründlich auswerten. Gegebenenfalls müssen wir uns auf dem Rechtsweg durchsetzen. Ich hoffe aber, dass die Spreu vom Weizen getrennt wird – und also alle Gefangenen, gegen die es keine Beweise gibt, entlassen werden. Dann würde das Leichtgewicht Kurnaz, der keine Waffenausbildung hat, nicht Arabisch spricht und bei dem der Generalbundesanwalt keine Hinweise auf Kontakte zu islamistischen Terroristen gefunden hat, wohl frei kommen.

Im Fall einer Klage – wen müssen Sie beklagen?

Gegner sind der Präsident und das Verteidigungsministerium, zuständig ist jedes Gericht, in dessen Bezirk eine Einrichtung des Verteidigungsministeriums steht. Da die USA flächendeckend militarisiert sind, könnten wir wählen, werden aber wohl nach Washington gehen.

Die Justizbehörden der USA prüfen das Urteil. Was erwarten Sie?

Die Gegenseite wird freiwillig so wenig Terrain wie möglich räumen. Ich rechne damit, dass alles noch länger dauert. Die Anwälte werden wohl gemeinsam vorgehen – ich jedenfalls bin Anhänger von koordinierter juristischer Gegenmacht.

Wer bezahlt für den Rechtsstreit?

In Deutschland gibt es leider kein Netzwerk von Unterstützung. Wir haben deshalb dankbar die Hilfsangebote von amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen angenommen, die mehrere Reisen in die USA bezahlt haben. Dieses Engagement kann man nicht genug würdigen.

Wer ist für Murat Kurnaz, den Bremer mit türkischem Pass, zuständig?

Die Türkei kümmert sich um ihre Staatsangehörigen. De Facto gehört Kurnaz aber zu seiner Familie nach Deutschland. Ich erwarte, dass die Ausländerbehörde die rechtswidrige Gefangennahme von Murat nicht zum Anlass nimmt, seine frühere Aufenthaltserlaubnis außer Kraft zu setzen.

Welche Rolle spielt die Öffentlichkeit?

Sie war lange die einzige Gegenmacht. Es hat gedauert, bis die Verbündeten der USA sich öffentlich gegen Guantanamo gestellt haben. Leider war ich die ersten zwei Jahre bei der Führung dieses Mandats auf Öffentlichkeitsarbeit beschränkt. Dass wir jetzt am Anfang einer juristischen Aufarbeitung stehen, ist erfreulich. Aber es steht noch einiges ins Haus. INTERVIEW: EVA RHODE