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Archiv-Artikel

Inszenierte Gleichsetzungen: „Route 181“ im 3001 Wille zur Aufklärung oder Propaganda?

Ein Film ist ein Film ist ein Film. Von der Szene über die Kameraeinstellung, vom Schnitt bis zur Montage besteht er aus der Auswahl von Aspekten. Daher kann ein Film nie die Wirklichkeit wiedergeben. Ein Film ist eine Sichtweise, die einem Publikum präsentiert wird. Und dieses Publikum sollte Filme als die Präsentation einer konstruierten Wirklichkeit begreifen.

Bei Route 181. Fragmente einer Reise in Palästina-Israel ist es besonders wichtig, die medialen Aspekte nicht zu vergessen. Sowohl Inhalt wie Darstellung haben in Frankreich für heftige Diskussionen gesorgt. Zum Schutz jüdischer BürgerInnen vor antisemitischen Übergriffen wollte das französische Kulturministerium eine zweifache Aufführung von Route 181 beim größten Dokumentarfilmfestival Frankreichs verhindern. Aufgrund großer öffentlicher Proteste wurde diese Zensurmaßnahme nicht durchgeführt. Wie konnte es zu dieser Polarisierung kommen?

Vordergründig beschreibt Route 181 eine Reise der Regisseure Eyal Sivan und Michel Khleifi entlang jener Grenze, die von der UN-Resolution 181 am 29.11.47 als Demarkationslinie zwischen Israel und Palästina vorgesehen war. Dass dieser Grenzverlauf nie umgesetzt wurde, sondern von Anbeginn zu Kämpfen und Krieg führte, ist Geschichte. Bis zum Oktober 1948 verließen über 650.000 palästinensische Flüchtlinge ihre Heimat, während der neu gegründete Staat Israel sich 1948/1949 erfolgreich gegen den Einmarsch ägyptischer, transjordanischer, irakischer und syrischer Truppen verteidigte. Bis heute hat das ehemals palästinensische Territorium keinen staatlichen Status und wurde teilweise besetzt. Route 181 konfrontiert nun die ZuschauerInnen mit einer Lebensrealität, die von ungleichen Bedingungen je nach Herkunft und Religionszugehörigkeit geprägt ist. Die befragten PalästinenserInnen erzählen von Vertreibung und Flucht aus ehemals arabischen Siedlungen. Sie sind Ausgangssperren unterworfen, so dass sie keine reguläre Anstellung finden und bisweilen keine Krankenhäuser aufsuchen können. Nach den Prinzipien der Sippenhaft werden Häuser zerstört, in denen Angehörige von Selbstmordattentätern leben. Der Neubau von Häusern in arabischen Nachbarschaften wird verhindert. Die Gebiete, in denen PalästinenserInnen leben, werden systematisch abgeriegelt, sei es durch Militärkontrolle, rasiermesserscharfen Stacheldraht oder den Bau einer Mauer um die Westbank.

Die jüdischen Menschen haben in Route 181 oftmals eine Machtposition, weil sie als SoldatInnen militärische Überlegenheit symbolisieren oder ehemals an Militäraktionen gegen PalästinenserInnen beteiligt waren. So können sie direkt oder indirekt für jene haltlosen Umstände verantwortlich gemacht werden, die Route 181 zeigt. Jüdische GegnerInnen der israelischen Regierungspolitik kommen nicht zu Wort. Insbesondere durch die medial vermittelte Parallelisierung eines Massakers mit Holocausterfahrungen schießen Sivan und Khleifi weit über das Ziel der Skandalisierung hinaus. So stellen sie eine Szene des Films Shoah detailliert nach, nur dass der jüdische Friseur, der in Auschwitz Menschen vor ihrer Ermordung in den Gaskammern die Haare abrasieren musste, durch einen arabischen Barbier ausgetauscht wird, der von einem Massaker an der arabischen Bevölkerung erzählt.

Durch diese Parallelsetzung nimmt nicht nur der arabische Mann die Opferposition des überlebenden jüdischen Friseurs ein. Gleichzeitig wird eine Parallele zwischen jüdischen Menschen und Nazis gezogen. Dieser vollkommen unzulässige Vergleich verwischt die Tatsache, dass die Staatengründung Israels untrennbar mit der Shoah verbunden ist. Will man nicht in Antisemitismus verfallen, kann nur vor diesem Hintergrund über etwaige Verfehlungen der israelischen Regierung diskutiert werden. Doro Wiese

ab Donnerstag, 19 Uhr, 3001