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Archiv-Artikel

„Es wird nur noch den Zwang zum Billigjob geben“, sagt Paul M. Schröder

Die Bundesregierung verschleiert, dass sie bei den Langzeitarbeitslosen insgesamt zehn Milliarden Euro kürzen will

taz: Herr Schröder, Wirtschaftsminister Clement hat immer wieder erklärt, dass er die Langzeitarbeitslosen besser fördern will. Das ist ja ein Grund, um Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen. Für 2005 sind jetzt 6,35 Milliarden Euro für Fördermaßnahmen eingeplant. Reicht das?

Paul M. Schröder: Nein, überhaupt nicht. Die Förderung bleibt auf dem niedrigstem Niveau. Früher haben die Kommunen ungefähr 2,1 Milliarden Euro ausgegeben, um erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger zu beschäftigen – und die Arbeitsämter haben etwa 4,2 Milliarden Euro aufgewendet, um Maßnahmen für Arbeitslosenhilfeempfänger zu finanzieren. Zusammen entspricht das also ungefähr den 6,35 Milliarden Euro, die jetzt im Haushalt des Wirtschaftsministers auftauchen.

Ist das nicht ein Erfolg? Überall wird gespart – nur bei den Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose nicht.

Nein, es wird gespart, denn die Bundesprogramme wie das „Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose“ werden eingestellt. Das Geld reicht nur noch, um kostengünstige Maßnahmen zu finanzieren. Es wird einen Zwang zu Billigjobs geben, wo die Arbeitslosen pro Stunde einen oder zwei Euro verdienen.

Und woher sollen diese Jobs kommen?

Der Trend wird sein, ABM-Stellen umzuwandeln. Gemeinnützige sozialversicherte Stellen bei Recyclinghöfen, in der Nachbarschaftshilfe oder als Hochhaus-Conciergen werden zu diesen 1-Euro-„Prämienjobs“. Die Papiere aus dem Wirtschaftsministerium sind ja sehr erhellend: 550.000 bis 600.000 Stellen sollen in kommunalen Beschäftigungsprojekten geschaffen werden. Bisher gab es davon maximal 390.000.

Noch mal: Wieso werden die Integrationsangebote schlechter, wenn die Fördersumme für Langzeitarbeitslose gleich bleibt?

Man wird das Geld zum Teil nutzen, um den Unterhalt der Langzeitarbeitslosen zu finanzieren.

Wieso?

Die Haushaltsansätze sind völlig unrealistisch. 13 Milliarden soll der Lebensunterhalt der Langzeitarbeitslosen kosten.

Das klingt viel.

Das ist ein Witz! Allein für die Arbeitslosenhilfe wurden von Juni 2003 bis Mai 2004 mehr als 17,6 Milliarden Euro ausgegeben. Hinzu kommen etwa 6 Milliarden Euro, die die Kommunen an Lebensunterhalt für die Sozialhilfeempfänger gezahlt haben. Wenn es jetzt noch insgesamt 13 Milliarden sind, dann wurden also etwa 10 Milliarden Euro beim Unterhalt der Langzeitarbeitslosen herausgekürzt.

Der Wirtschaftsminister hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass die Arbeitslosenhilfe-Empfänger künftig nur noch Sozialhilfeniveau bekommen sollen.

Ja, klar, das spart Geld – aber nicht zehn Milliarden Euro. Selbst auf dem Niveau der Sozialhilfe werden sich mit den angesetzten 13 Milliarden Euro nur etwa Zweidrittel der Langzeitarbeitslosen finanzieren lassen. Das bedeutet: Wenn man von jetzt etwa drei Millionen erwerbsfähigen Sozial- und Arbeitslosenhilfeempfängern ausgeht, soll eine Million keine Unterstützung mehr bekommen.

Bisher war nur die Rede davon, dass etwa eine halbe Million das neue Arbeitslosengeld II nicht mehr erhält, weil die Partner zu viel verdienen.

Fragt sich also, woher das Geld für die etwa 500.000 anderen kommt. Da bleibt nur der Fördertopf. Deswegen werden die 1-Euro-Prämienjobs grassieren.

Selbst bei diesen Billigangeboten wird aber nur berücksichtigt, wer das Arbeitslosengeld II bekommt und nicht rausgeflogen ist, weil der Partner zu viel verdient.

Die Arbeitsmarktpolitik schafft neue Hierarchien bei den Arbeitslosen – obwohl angeblich genau das Gegenteil beabsichtigt ist. Das wird durch den „Aussteuerungsbetrag“ noch verschärft.

Das müssen Sie erklären.

Das ist ein Betrag von etwa 8.200 Euro, die die Bundesagentur für Arbeit an den Wirtschaftsminister zahlen muss, wenn ein Arbeitsloser länger als ein Jahr erwerbslos ist und in das steuerfinanzierte Arbeitslosengeld II wechselt. Damit soll angeblich verhindert werden, dass die Bundesagentur sich nicht um Vermittlung bemüht, sondern abwartet, bis sie für die Arbeitslosen nicht mehr zahlen muss.

Und dieses Druckmittel ist nicht vernünftig?

Die Bundesagentur wird sich bei ihren Fördermaßnahmen vor allem auf Arbeitslose konzentrieren, die hinterher Arbeitslosengeld II erhalten könnten. Sie wird sich also nicht um Arbeitslose kümmern, die nach einem Jahr keine Ansprüche mehr haben, weil der Partner zu viel verdient.

Das haben Sie schon beim Petitionsausschuss des Bundestags vorgetragen. Der sah keine Gefahr: Die Bundesagentur könne nicht wissen, welcher Arbeitslose nach einem Jahr keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld II hat.

Unsinn. Die Bundesagentur kann sich ausrechnen, dass eine Frau mit Steuerklasse V bestimmt einen Ehemann hat, der besser als sie verdient. Und wenn sie keine unterhaltspflichtigen Kinder hat, dann ist fast sicher, dass sie keine Kandidatin für das Arbeitslosengeld II ist.

Was wäre eine saubere Lösung?

Das Gesetz rückabzuwickeln. Aber wenigstens müsste die Regierung ehrlich zugeben, dass sie einfach nur bei den Arbeitslosen sparen will.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN