: Leben im Frauenfeindesland
DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP
„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Renate Schmidt, Frauen- und Familienministerin
Was für ein Pech für die spitzenmäßig ausgebildeten Frauen um dreißig. Sie sind die am besten ausgebildete Frauengeneration aller Zeiten. Die mütterliche Frauenbewegung der Siebziger- und Achtzigerjahre hat ihnen die Pferde zugeritten und gesattelt. Jetzt stehen die Töchter bereit. Immer mehr Frauen um die dreißig verzichten sogar endgültig auf Kinder, um sich noch windschnittiger für ihren Konkurrenzkampf mit den Männern zu machen. Und jetzt ist Vater Staat pleite.
Wir leben in dem frauenfeindlichsten Land Europas: in Deutschland. Und weil dieses Land frauenfeindlich ist, ist es konsequenterweise auch kinderfeindlich. Ein Drittel der in Deutschland lebenden heute 28-jährigen Frauen werden voraussichtlich kinderlos bleiben wollen. Die Verweigerung des Staates, Frauen durch ganztägige Kinderbetreuung und Ganztagsschulen zu helfen, geben etwa 70 Prozent als Grund für ihre Kinderlosigkeit an. Denn wie sollen wir das anders nennen als eine Verweigerung. Gleichgültigkeit? Vergessen? Die zuständigen Ministerien leiten zwei Frauen, zwei tüchtige und in ihrer Grundeinstellung feministisch denkende Frauen. Aber handeln sie entsprechend?
Renate Schmidt, unsere Frauen- und Familienministerin, wollte jetzt eine Zahl unterschlagen, die sehr viel mit der Zukunft der dreißigjährigen hoch qualifizierten Frauen zu tun hat. Nur eine kleine Zahl, aber eine Zahl von großer Bedeutung. Dass die Frauen- und Familienministerin diese Zahl unterschlagen wollte, darum geht es. 4,5 Prozent. Mit dieser Zahl hat es folgende Bewandtnis:
Nur 4,5 Prozent der deutschen Unternehmen in der Privatwirtschaft haben inzwischen tarifliche oder betriebliche Vereinbarungen zur Frauenförderung und Familienfreundlichkeit geschlossen. Das ist ein Skandal. Doch der war vorhersehbar, der war sozusagen eingeplant und im Voraus zugestanden. Denn die Unternehmer waren zu rein gar nichts verpflichtet worden. Statt, wie in den Wahlprogrammen versprochen, das Gleichstellungsgesetz auf den Weg zu bringen, hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Juli vor zwei Jahren mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft eine freiwillige Gleichstellungsregelung vereinbart. Freiwillig. Mehr nicht. Die Regelung ist nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde.
Aber ist das eine Überraschung? Für niemanden ist das eine Überraschung. Das ist eine Sache unter Männern, ein Deal, der funktioniert seit Generationen gegen Frauen. Gleichzeitig hatte der Bundeskanzler in seiner vollmundigen Art seinen Wählerinnen versprochen, im Herbst 2003 müssten sich an dieser freiwilligen Vereinbarung die Unternehmen messen lassen. Da ist aber nichts zu messen, denn in der jährlich gemachten repräsentativen Betriebsuntersuchung fehlt ausdrücklich die entscheidende Frage, nämlich wann die Firmen ihre Maßnahmen zur Frauenförderung eingeleitet haben. Die Frage wurde nicht etwa vergessen. Sie wurde ausdrücklich nicht in die freiwillige Vereinbarung zwischen sozialdemokratischem Kanzler und der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände aufgenommen. Ausdrücklich nicht.
Tja, da möchte die kleine Frau auf der Straße doch wissen, warum nicht? Schließlich haben wir alle unser Verfallsdatum. „Weil es das Umfrage-Panel überfrachtet hätte.“
So die bereitwilligst dahergeschwatzte Antwort der Arbeitsmarktexpertin Ilka Houben in der Frankfurter Rundschau vom vergangenen Sonnabend, in der die Journalistin Corinna Edmundts den Skandal aufdeckte.
Wir können, nein, wir müssen also davon ausgehen, dass die 4,5 Prozent tariflich vereinbarte, vielleicht noch nicht einmal umgesetzte Frauenförderung aus der Zeit von Helmut Kohl stammen. Ist das nicht furchtbar? Und das alles wollte Renate Schmidt geheim halten, und das ist eigentlich noch furchtbarer. Abzusehen war diese Entwicklung für sie seit etwa zwei Jahren, seitdem sie das Amt von ihrer Parteigenossin Christine Bergmann übernahm, die sich gegenüber Bundeskanzler Schröder durchsetzen wollte, aber es nicht konnte, denn sie bekam dafür nicht genüg Rückhalt in ihrer Partei. Renate Schmidt versuchte es offenbar erst gar nicht.
Aber es gibt einen Lichtblick. Wir wüssten nichts von dieser Zahl, von diesen schäbigen 4,5 Prozent, die wahrscheinlich ein alter Männerhut aus der Kohl-Epoche sind, hätte nicht die neue Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gegenüber Renate Schmidt sich entschlossen gezeigt, diese Zahl publik zu machen. Ihr Name ist Jutta Allmendinger. Man muss diese Frau für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen. Eine solche Courage hat Seltenheitswert.
Was lernen wir daraus? Es gibt überhaupt keinen Grund für die Töchter der Frauenbewegung anzunehmen, dass sich feministische Politik in irgendeiner Weise überholt habe. Es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass feministische Unterwanderung und feministische Kontrollinstanzen sich überholt hätten. Im Gegenteil. Besonders seitdem SPD und Grüne regieren, ist die Gefahr groß, glauben zu wollen, nun seien ja die Richtigen dran, nun würde sich das alles regeln, auch für Frauen. Auch die grünen Frauen müssen aufpassen, dass sie sich nicht im Zuge notwendiger Einsparungen ihre feministischen Expertinnen und Einrichtungen von ihren eigenen Männern streichen lassen.
Wir stehen wieder einmal auf der Kippe. Selbstverständlich ohne es wissen zu wollen. Am Ende des Jahres werden wir von fünf bis sechs Millionen Arbeitslosen hören, und ganz offensichtlich wird in Deutschland nach altem Rezept versucht, die Frauen vom Arbeitsmarkt zu verdrängen, indem ihnen der Zugang erschwert und das Mitreden nahezu unmöglich gemacht wird. Die 100 größten börsennotierten deutschen Unternehmen weigern sich unverändert, eine Frau in ihren Vorstand zu holen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland liegt unverändert unter dem Durchschnitt der EU-Staaten. Immer noch ist das für Frauen extrem ungünstige Ehegattensplitting nicht abgeschafft, werden Frauen für gleichwertige Arbeit schlechter bezahlt als Männer, gibt es keine eigenständige Alterssicherung für Frauen. Man möchte ihnen als Frau das Wahlrecht noch hinterherschmeißen. Nein! Dafür sind Frauen in Gefängnissen gestorben, damit Frauen wählen können. Vor 85 Jahren wurde in Deutschland das Frauenstimmrecht eingeführt. Kein Grund zum Feiern.
Wir haben erst eine Frau an der Spitze eines Bundeslandes. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis. Die hätte obendrein das Zeug zur Kanzlerin. Aber da sie der SPD angehört, gehört sie der Partei an, die Frauen eher nichts werden lässt. Bis 2007, das hat die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn unlängst in einem Radiointerview versprochen, wolle die Bundesregierung 10.000 Ganztagsschulen gegründet haben für insgesamt vier Milliarden Euro. Welchen Grund haben wir, das zu glauben? Keinen. Aber wir haben genug Gründe, gegen die Frauendiskriminierung in unserem eigenen Land zu kämpfen.