: Berliner müssen bitten lernen
Arbeitsagenturen verschicken die Formulare für das Arbeitslosengeld II. 170.000 Arbeitslosenhilfe-Empfänger werden zum Sozialhilfefall. Nicht ihr früherer Verdienst zählt, sondern die Bedürftigkeit
VON RICHARD ROTHER
Hartz IV wird ernst. Die Vorbereitungen für die Umsetzung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe laufen in Berlin auf vollen Touren. Ab Mitte Juli verschicken die Arbeitsagenturen die Fragebögen, mit denen die bisherigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe das künftige Arbeitslosengeld II beantragen müssen, das ab 1. Januar 2005 ausgezahlt wird. Dieses ALG II – so will es die rot-grüne Bundesregierung – entspricht in etwa nur noch der heutigen Sozialhilfe. Unabhängig davon, wie viele Jahre die Betroffenen zuvor gearbeitet und wie viel sie verdient haben. Erwerbslosengruppen kündigen für den Herbst bereits eine Kampagne gegen die Reform an, die nach dem VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz benannt ist.
In Berlin sind rund 170.000 Arbeitslosenhilfebezieher betroffen, hinzu kommen etwa 120.000 Angehörige. Für die bisherigen Sozialhilfeempfänger ändert sich wenig.
Die Frageböden haben es in sich. Jeder, der länger als ein Jahr ohne Job ist, muss beim Arbeitsamt „die Hosen runterlassen“, wenn er die Unterstützung bekommen will. Gefragt wird nicht nur nach Vermögen, nach Auto- oder Grundbesitz, auch das Einkommen des Lebenspartners wird penibel erfasst – und angerechnet.
Grundsätzlich stehen einem Erwachsenen nur 345 Euro zu, hinzu kommen Mietkostenzuschüsse. Als Faustregel kann gelten, dass einem Paar ohne Kinder insgesamt rund 1.000 bis 1.100 Euro zustehen. Erreicht der noch arbeitende Partner dieses Einkommen, sinkt die staatliche Unterstützung für den arbeitslosen gegen null – entsprechend deutlich sinkt das gesamte Familien- beziehungsweise Paareinkommen. Rund 50.000 Berliner werden künftig keine Arbeitslosenunterstützung mehr bekommen, befüchtet der DGB. Die Regionaldirektion der Arbeitsagentur konnte gestern noch keine Schätzung der Betroffenenzahl abgeben. Dazu fehlten die Daten, so Rolf Seutemann, Chef der Regionaldirektion der Arbeitsagentur.
Klar ist aber: Die großen Verlierer der Hartz-Reform sind Arbeitslose, die in ihrem Berufsleben relativ gut verdient haben, und solche, deren Partner mehr als nur Nebeneinkommen erzielen. Zudem muss verwertbares Vermögen veräußert werden – etwa ein Wochenendhaus, Sparguthaben, Wertpapiere etc.
Während die deutlichen Verschlechterungen immer klarer abzusehen sind, bleiben die versprochenen Verbesserungen – etwa bei Jobangeboten und Qualifizierungen für Arbeitslose – im Vagen. Schlimmer noch: Das insgesamt vom Bund dafür zur Verfügung gestellte Geld reicht, wenn eine bestimmte Quote von Jobangeboten erbracht werden soll, nur noch für so genannte Arbeitsgelegenheiten – das sind gemeinnützige Jobs für 1 oder 2 Euro pro Stunde. Der Trend gehe weg von den klassichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hin zu den Arbeitsgelegenheiten, so Regionalarbeitsdirektor Seutemann. Dafür könnten auch Pflegejobs oder Hausaufgabenhilfen infrage kommen.
„Bis jetzt müssen die Betroffenen nur mit massiven Leistungseinschränkungen rechnen“, kritisierte gestern Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS). Bundesregierung und Bundesagentur seien nun in der Pflicht, eine wirksame Arbeitsmarktpolitik aufzulegen.
Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz forderte einen Nachtragshaushalt 2005, um in Berlin kommunale Beschäftigung in größerem Umfang als bisher zu organisieren. Dafür müssten die Spielräume von Hartz IV nun genutzt werden. Klotz spart aber auch nicht mit Kritik an der Reform: „Die deutlichen Verschlechterungen kann man nicht verschweigen.“ Sie würden die Region Berlin/Brandenburg und die neuen Länder besonders hart treffen, weil hier kaum offene Stellen vorhanden seien.
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