: Nehmen, geben, nehmen
Alle Langzeitarbeitslosen leben bald auf Sozialhilfeniveau. Das spart Milliarden. Wer profitiert? Die Geschichte eines Streits
VON ULRIKE HERRMANN
Sechs Monate lang stritten sich Bundesregierung und Opposition; vordergründig ging es um sperrige Begriffe wie „Experimentierklausel“ und „Revisionsklausel“. Doch eigentlich lautete die Frage: Welche staatliche Ebene profitiert davon, dass bei den Langzeitarbeitslosen künftig Milliarden gekürzt werden?
Am Mittwochabend einigte sich der Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag, und nun ist es definitiv: Am 1. Januar werden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt – und zwar auf dem Niveau der Sozialhilfe (siehe Kasten). Das neue Konstrukt heißt Arbeitslosengeld II (ALG II).
Gezahlt wird diese neue Leistung vom Bund, die Kommunen müssen nicht mehr für die Sozialhilfe Erwerbsfähiger aufkommen – 2005 hätte das 9 Milliarden Euro gekostet, rechnet man Verwaltungsausgaben und Beschäftigungsprojekte hinzu. Dafür sollten die Gemeinden die Wohnkosten für alle ALG-II-Empfänger übernehmen. Dies hätte eine Belastung von 15 Milliarden Euro bedeutet, meinen die Kommunen – macht ein Minusgeschäft von mindestens 5 Milliarden Euro. Der Wirtschaftsminister, immer optimistisch, erwartete allerdings nur Wohnkosten von 10 Milliarden Euro. Die Gemeinden waren trotzdem empört, war ihnen doch versprochen worden, dass sie 2,5 Milliarden Euro sparen.
Nun übernimmt der Bund einen Teil der Wohnkosten. 3,2 Milliarden Euro hat SPD-Wirtschaftsminister Clement zugesagt. Der Rest wird später über die „Revisionsklausel“ abgerechnet, sollten die Gemeinden wegen der Wohnkosten tatsächlich ein Minus machen. Zudem müssen die Länder jene 2,5 Milliarden Euro an die Gemeinden abführen, die sie früher für das Wohngeld ausgegeben haben.
Clement hat bisher aber in seinem Haushalt nur 1,8 Milliarden und nicht 3,2 Milliarden Euro für die Wohnkosten verbucht – nun muss SPD-Finanzminister Eichel die fehlenden 1,4 Milliarden Euro zusammenkratzen. Eine noch höhere Neuverschuldung ist jedenfalls ausgeschlossen, der Gesamthaushalt ist schon jetzt nur noch knapp verfassungsgemäß.
Glücklich sind die Gemeinden nicht mit der „Revisionsklausel“: Sollten sie berechtigte Nachforderungen haben an den Wirtschaftminister, „müssen wir uns jahrelang streiten, bis wir noch ein paar Euro sehen“, prognostiziert der Landkreistag. Für die Gemeinden gibt es allerdings noch eine Finanzquelle: Die Union hat im Vermittlungsausschuss eine „Experimentierklausel“ durchgesetzt, nach der sich bis zu 69 Gemeinden entscheiden können, ihre Langzeitarbeitslosen allein zu betreuen, ohne Mitwirkung der Arbeitsagenturen. Dafür erhielten sie dann eine Fallpauschale.
Die Zahl 69 entspricht den Sitzen im Bundesrat. Das machte die Verteilung der Modellgemeinden einfacher: Jedes Bundesland darf so viele experimentierfreudige Kommunen benennen, wie es Stimmen im Bundesrat hat. Besonders die Landkreise sind interessiert an dem Experiment: Oft haben sie kaum Langzeitarbeitslose und hoffen nun, sich selbst aufwerten und zugleich Kasse machen zu können. Doch die Grünen haben schon angekündigt, dass die Fallpauschale so dürftig wird, „dass da bestimmt keine Gewinne anfallen“.
Fazit: Weil die Bezüge aller Langzeitarbeitslosen auf Sozialhilfeniveau absinken, spart der Bund massiv bei der Arbeitslosenhilfe. Leider können sich dann viele ihre Wohnungen nicht mehr leisten – also schnellen die Unterkunftskosten in die Höhe. Überschlägig dürfte der Staat dennoch knapp 7 Milliarden Euro sparen. Und die Neuigkeit von Mittwochabend ist, dass die Kommunen davon nun ein bisschen abbekommen.