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Archiv-Artikel

Power-Shopping in der Heide

Das erste echte Factory-Outlet-Center des Nordens soll bis 2010 an der Autobahn A 7 in Soltau gebaut werden. Bürgermeister erwartet eine Million Besucher pro Jahr, der Einzelhandel rechnet mit Pleiten. Baubeginn möglicherweise im Sommer

DAS PRINZIP OUTLET

Das erste Factory-Outlet-Center (FOC) wurde im Jahre 1971 in Pennsylvania gebaut. Im Jahr 1984 wurde der europäische Markt mit der ersten Gründung in Frankreich erschlossen.

In Deutschland gibt es derzeit wegen vieler regionaler Widerstände erst acht Fabrikverkaufszentren, davon ein kleineres in Ochtum bei Bremen (6.700 Quadratmeter) und das so genannte Designer Outlet am Rand der Innenstadt von Wolfsburg (10.000 Quadratmeter). Der Rest der Outlets steht auf der grünen Wiese. Neben dem FOC in der Heide ist ein weiteres im schleswig-holsteinischen Neumünster geplant. Der typische FOC-Kunde ist weiblich, berufstätig, zwischen 35 und 50 Jahre alt und gut situiert. Der Standort für ein Projekt wird in der Regel so gewählt, dass rund drei Millionen Einwohner innerhalb einer Stunde Fahrzeit das FOC erreichen können. Die Besucher kommen meist mit dem Auto, nur selten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Das Heide-FOC rechnet mit Durchreisenden aus Skandinavien, aber auch mit Kunden aus dem Großraum Hamburg, Bremen und Hannover. Raum- und Regionalplaner kritisieren die Zentren, weil sie zum Ausbluten der Innenstädte führen. KSC

VON KAI SCHÖNEBERG

Das erste echte Factory-Outlet-Center (FOC) auf einer norddeutschen grünen Wiese soll an der Autobahn A 7 gebaut werden. Nach jahrelangem Krach hat sich das für Raumordnung zuständige Agrarministerium am Dienstag für Soltau als Standort des Fabrikverkaufszentrums entschieden. Die Mitbewerber Bispingen sowie Fallingbostel schieden im Rahmen des Raumordnungsverfahrens aus. „Sinn und Zweck des Ganzen ist es, die touristische Attraktion der Lüneburger Heide aufzuwerten“, sagte Minister Hans-Heinrich Ehlen (CDU). Soltau habe sich als Standort wegen der Nähe zur Innenstadt durchgesetzt. FOC-Besucher sollen später noch in der City bummeln und ein paar Euros im bereits bestehenden Einzelhandel und in der Gastronomie lassen.

„Das bringt die gesamte Lüneburger Heide voran“, freute sich Bürgermeister Wilhelm Ruhkopf (SPD). Das Einkaufszentrum solle Besucher auch im Winter oder bei schlechtem Wetter nach Soltau locken. Es sei eine ideale Ergänzung zu Heide-Park, Snow-Dome, Kart-Center und Therme. Ruhkopf rechnet mit einer Million Besuchern jährlich. Zehn Prozent davon will er in die 22.000-Einwohner-Stadt hineinlocken.

Das FOC soll 80 Millionen Euro kosten und 480 Jobs bieten. Der Baubeginn könnte im Sommer sein, 2010 soll das FOC öffnen. „Natürlich sind nicht alle Soltauer Geschäftsleute begeistert von der Entscheidung“, sagte Ruhkopf. Allerdings hätten sie genug Zeit gehabt, sich auf den neuen Mega-Konkurrenten einzustellen. Erste Pläne für ein FOC in Soltau hatte es bereits 1995 gegeben. „Flexible“ Kaufleute könnten mit dem Fabrikverkaufszentrum „sehr gut leben“. Gerade habe das Modekaufhaus C & A eine neue Filiale eröffnet.

Um den Einzelhandel in den umliegenden Gemeinden zu schützen, wurden Sortimentsbegrenzungen mit dem Investor, der Mutschler-Gruppe, vereinbart. 7.000 der insgesamt 9.900 Quadratmeter sind für Kleidung, 1.500 für Schuhe vorgesehen. Außerdem dürfen beim Power-Shopping in der Heide nur Waren zweiter Wahl oder Auslaufmodelle verkauft werden.

Den Kritikern reichen diese Vorkehrungen bei weitem nicht. „Wenn im Umland die Umsätze im Einzelhandel auch nur um fünf Prozent sinken, bedeutet das für viele kleine Standorte mitten in der Krise das Ende“, sagt Hans-Joachim Rambow vom Einzelhandelsverband.

Das FOC führe zur „Kannibalisierung“ der Händler, ärgert sich Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mägde (SPD). „Ein FOC am falschen Platz“, sagt Mädge, „bricht dem Einzelhandel das Genick, kostet Arbeitsplätze und ist auch unter dem Gesichtspunkt Klimaschutz der falsche Weg, weil es massenhaft Autoverkehr bedeutet.“

In seiner Ablehnung bestärkt ihn das Ende 2007 eröffnete Designer Outlet Center (DOC) am Ende der Wolfsburger Fußgängerzone. Nachbarstädte hatten dagegen protestiert, dass das DOC künftig an 20 Sonntagen öffnen wollte, bislang waren es 13. „Der Aufschrei gegen die Pläne des DOC in Wolfsburg zeigt einmal mehr, dass diese Verkaufszentren in eine Sackgasse führen“, sagt Mädge.

Die Linken fürchteten am Dienstag umweltschädliche Auswirkungen und sorgten sich um den Einzelhandel in den umliegenden Städten. „Die Landesregierung protegiert mit ihrer Entscheidung europaweit tätige Großbetreiber von Fabrikverkaufszentren und lässt niedersächsische Einzelhändler am ausgestreckten Arm verhungern“, sagte Fraktionschef Manfred Sohn.

Die Entscheidung für Soltau schaffe „einen lokalen Champion und viele regionale Verlierer“, erklärte Enno Hagenah, Wirtschaftsexperte der Grünen im niedersächsischen Landtag. „Die Heidestadt jubelt und viele eigentümergeführte Geschäfte und der Handel in den Innenstädten von Lüneburg bis Celle und von Nienburg bis Uelzen werden darunter leiden“, sagte Hagenah.

Die Entscheidung für Soltau werde Anträge für weitere Großdiscounter auf der grünen Wiese stimulieren. Das FOC schaffe einen Präzedenzfall. Nun würden auch andere Betreiber versuchen, sich an diversen Standorten in Niedersachsen einzuklagen. Hagenah: „Die Regierung Wulff hat eine neue Konkurrenzspirale in Gang gesetzt, die dem Einzelhandel in Niedersachsen großen Schaden zufügen wird.“