: Irrlichternde Einzelbilder
Kunst rezipiert Kino und will vom Filmzitat zur eigenen Form und zu eigener Bedeutung finden. Jonathan Horowitz bei Barbara Weiss, Alex Morrison und Pash Buzari im Künstlerhaus Bethanien
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
„Silent Movie“ – der Stummfilm hieß so, in dem die Sprache der Körper, der Gesten und der Mimik ganz eigene Gesetze des Ausdrucks entwickelte. Die Expressivität der Darstellung dieser frühen Filmgeschichte wurde lange Zeit nur noch als übertriebenes Pathos und karikierende Zuspitzung wahrgenommen. Erst jetzt wird dieser Material endlich als ein brachliegender Fundus betrachtet, den Performer, Tanz- und Theaterleute neu untersuchen.
„Silent Movie“ – so nennt der amerikanische Künstler Jonathan Horowitz seine Videoinstallation in der Galerie Barbara Weiss, die einer ähnlichen Eigendynamik von Körper- und Bildersprachen nachgeht. Noch bevor man den eigentlichen Raum durch einen schwarzen Vorhang betritt, hört man schon eine dramatische Klaviermusik. Im Innern des Raum bewegen sich die schwarzen und weißen Tasten eines Klaviers mechanisch auf und ab und daneben deuten Filmausschnitte auf einer Leinwand jene leidenschaftlichen Ausbrüche an, die die Musik erwarten lässt. Zitiert werden zwar keine Stummfilme, sondern vier Klassiker der Filmgeschichte, die Geschichten von tauben und sprachbehinderten Protagonisten erzählen. Wohl aber bildet die Bild- und Tondramaturgie des Video-Loops eine Referenz an den Stummfilm. Die Montage von ähnlichen Einstellungen oder assoziativ verbundenen Motiven springt dabei zwischen den Filmen, die zwischen 1948 (Johnny Belinda) und 1975 (The Who’s Rock Opera Tommy) produziert wurden.
So entsteht eine eigene Zeichenkette, die suggestiv vom Eingeschlossensein in der Stille und dem Befreiungsschlag in einer wilden Körpersprache erzählt. Die Szenen durchqueren Momente des Schocks und von physischer Gewalt. Verletzung und Ausschluss aber werden zum Schluss in einer Art Performance überwunden, fast wie ein schamanistisches Ritual, das den Schock noch einmal nachinszeniert. Die leicht nostalgische Patina des Vergangenen, die von dem mechanischen Klavier und den schwarz-weißen Filmbildern zuerst wachgerufenen wird, verblasst.
Alles Bildmaterial, das Horowitz benutzt, ist Zitat und sein Loop nur 10 Minuten lang; dennoch entsteht daraus ein eigenständiger Bilddiskurs, der das historische Material in vielen Richtungen aufschließt. Die wenigen Bilder reichen als Verweise auf die Emotionalität der ursprünglichen Stoffe und man vermisst nichts, wenn man die zitierten Filme nicht kennt.
Auch Alex Morrison, Stipendiat des Künstlerhauses Bethanien aus Kanada, möchte in seiner Filminstallation „Free Room“ ein Feld zwischen einem Filmklassiker, „If“ von Lindsay Anderson, und der Gegenwart bespielen. Das Thema ist durchaus aktuell: Lindsay Anderson, der in den 50er- und 60er-Jahren zu den wichtigsten Protagonisten des Free Cinema in England gehörte, griff in „If“ (1968) das repressive Bildungssystem an mit einer Geschichte über die Eskalation der Gewalt an einem Internat. Morrison hat Szenen nachspielen lassen: Aber ohne das Original zu kennen, begreift man nicht viel. Die Tonqualität ist schlecht, die Bilder teils zu dunkel, das Spiel laienhaft. Abgesehen von diesen technischen Mängeln, die der viel beschäftigte Künstler wohl erst sehr spät bemerkt hat – die meisten Szenen sind relativ langweilig, die Montage spannungslos. Drei Jugendliche schneiden aus Zeitschriften Motive aus, kleben Collagen und schießen auf die Bilder. Morrisons Konzept liest sich interessant, im Pressetext zum Beispiel: Aber die Ausführung ist eher enttäuschend.
Gut, dass das Künstlerhaus Bethanien zur gleichen Zeit Pash Buzari eingeladen hat, der ebenfalls viel mit Videoinstallationen gearbeitet hat, nun aber eine Skulptur aus Licht zeigt. Auch in sein Konzept flossen ursprünglich einmal die Rezeption von Filmen und die Inszenierung architektonischer und kinematografischer Räume ein. Die entstandene Arbeit aber hat sich davon weit emanzipiert und gewinnt ihre ästhetische Stärke im klaren Umgang mit dem Material. An die Bilder eines Films erinnern hier nur die Schatten der Besucher, die über die Wand hüpfen wie eine in Einzelbilder zerlegte Bewegungssequenz. Ausgelöst wird dieses Spiel von vielen Reihen von Glühbirnen, die an den Unterseiten zweier Tische angebracht sind und in rasend schnellem Rhythmus und mit kleinen klackernden Geräusche an- und ausgehen. Das ist alles.
Zunächst mutet die Installation, weil man auf den Tischplatten auf die vielen Kabel blickt, wie die Rückseite einer Kulisse an oder das Innere einer Leuchtreklame: Sozusagen die Kehrseite der Illusionsmaschine Kino. Lichtpunkte, die sich bewegen und durch ihre Geschwindigkeit die Wahrnehmung überlisten: Das ist Film schließlich. Die Befreiung von allen Geschichten und Bildern enthält aber zugleich die Möglichkeit, unendliche viele Bilder und Geschichten neu zu erzeugen. Die Leere, die die Fülle ist – fast ein meditatives Bild.
Jonathan Horowitz: „Silent Movie“, bei Barbara Weiss, Zimmerstr. 88–89, Di–Sa 11–18 Uhr, bis 11. September. Alex Morrison und Pash Buzari im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Mi–So 14–19 Uhr, bis 18. Juli