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Archiv-Artikel

Die Kraft der Löwenherzen

In Syke bei Bremen eröffnet in wenigen Wochen Niedersachsens erstes Hospiz für schwerstkranke Kinder und Jugendliche. Das Löwenherz, mitten im Grünen, will aber mehr sein als ein Sterbehaus

aus SykeMARKUS JOX

In Gaby Letzings Blick mischt sich Stolz mit Skepsis. Zum ersten Mal seit zwei Wochen bewegt sich die Vorsitzende des Vereins „Kinderhospiz Löwenherz“ wieder auf „ihrer“ Baustelle – und erblickt überall Kabel, Zigarettenkippen, Bohrmaschinen. Dass hier einmal ein Haus für kranke Kinder stehen soll, lässt sich allenfalls erahnen. Und doch rückt der Termin für die offizielle Eröffnung unaufhaltsam näher.

Am 1. Oktober soll es so weit sein. In der Nähe des Städtchens Syke bei Bremen wird dann das erste Kinderhospiz in Niedersachsen seine Pforten öffnen. Die ersten Patienten und ihre Familien werden in den Neubau einziehen, der eine „Insel für schwerkranke und sterbende Kinder“ sein soll. Es gibt eine große Resonanz aus dem gesamten norddeutschen Raum – für die Herbstferien rechnet Gaby Letzing erstmals mit einer „Vollbelegung“.

Die 42-Jährige ist gelernte Kinderkrankenschwester, 14 Jahre lang hat sie ihren ambulanten Pflegedienst „Krank und klein – bleib daheim“ geführt, der sich auf die Arbeit mit schwerst mehrfachbehinderten Mädchen und Jungen spezialisiert hatte. Bei der Namenssuche für das Hospiz ließ sie sich von Astrid Lindgrens Roman „Die Brüder Löwenherz“ und von ihrer Berufserfahrung inspirieren: „Die Eltern, und vor allem die Mütter meiner Patienten, kamen mir öfters mal vor wie Löwinnen, die um ihre Kinder kämpfen.“ Und folgerichtig lautet Letzings berufliches Credo: „Wir wollen die Eltern stärken, damit sie ihre Löwenkraft behalten.“ Sie sollen bestimmen, wo es lang geht. „Die Eltern und das Kind bestimmen den Weg“, sagt die Hospizchefin, „wir sind an ihrer Seite und gehen mit.“

Das Kinderhospiz, das von einer gemeinnützigen Gesellschaft (gGmbH) betrieben wird, liegt am Stadtrand mitten im Grünen. Für den 2,3 Millionen Euro teuren Bau gab es Zuschüsse vom Bund und vom Land Niedersachsen, aber auch Spenden von Firmen, Stiftungen und Privatpersonen. Auch die Kommunalpolitiker hätten sie sehr gut unterstützt, sagt Letzing – der Flächennutzungsplan für das 5.000 Quadratmeter große Hospizgelände etwa sei „innerhalb kürzester Zeit durchgezogen“ worden. „Ich habe das Gefühl, Löwenherz ist ein Maskottchen geworden für den Landkreis.“

Etwa 150 Familien im Jahr werde man wohl betreuen, prognostiziert Gaby Letzing. Jeweils für acht Kinder und deren Familien bietet das Hospiz Platz. Die Kinder haben im Erdgeschoss Einzelzimmer, eine Etage darüber sind die Räumlichkeiten für die Familien: hell, freundlich, geräumig. Daneben wird es eine Reihe von Gemeinschafts- und Behandlungszimmern geben: So soll ein Whirlpool im Haus Löwenherz stehen, es wird einen Sinnesraum mit vielen Düften und Geräuschen geben, Spielzeug, Fernseher – und rund ums Haus einen naturnahen Garten.

Gaby Letzing und ihr Team – 21 Vollzeit- und zahlreiche Teilzeitkräfte – legen großen Wert darauf, dass das Hospiz Löwenherz kein Sterbehaus sein wird, im Gegenteil: Die Kinder sollen im Garten spielen können, im Wasser plantschen, massiert werden, spazierengehen, fernsehen, auch einen Computer mit Internetanschluss könnte es bald geben. Rund 70 Ehrenamtliche unterstützen die Profis, vor allem in „ziemlich lebenspraktischen Bereichen“ wie Gartenarbeit oder Hauswirtschaft. „Wir sitzen nicht am Bett der sterbenden Kinder“, sagt Gaby Letzing. Ehrenamtliche Unterstützung bräuchten die Familien eigentlich auch zu Hause: „Jedoch sollte es nicht so sein, dass die Hospizhelferin beim kranken Kind sitzt und die Mutter anfängt, die Küche zu putzen.“

Während Erwachsenen-Hospize meist auf die allerletzte Lebensphase ausgerichtet sind, wollen die Löwenherzen das ausdrücklich vermeiden. Die kranken Kinder und ihre Familien sollen in der Regel daheim leben. Das Hospiz soll die Eltern jedoch immer wieder – und nicht nur in den Wochen oder Tagen vor dem Tod – eine Zeit lang entlasten.

Dass der Tod nicht im Mittelpunkt steht, aber doch unwiderruflich zum Hospiz gehört, verdeutlicht auch die Architektur: Durch einen kurzen, schmalen Gang gleichsam an das Haus „angedockt“ ist der „Abschiedsraum“, ein klimatisiertes, gekühltes Zimmer, in dem die toten Kinder aufgebahrt werden sollen. Wenn Mütter oder Väter den Raum bereits lange vor dem Tod ihres Kindes betreten, dann soll er ihnen, so Letzing, signalisieren: „Im Hospiz ist das Sterben immer präsent.“

Für den 20. September ist die große Eröffnungsparty im Hospiz Löwenherz geplant: Die niedersächsische Sozialministerin wird da sein und das symbolische Band durchschneiden, Gitte Haenning wird singen, eine Kinder-Disco gibt es, und sehr viele Kleinkünstler treten auf. Es soll, das ist den Planern wichtig, fröhlich zugehen an diesem Tag – vor allem „die Kids“ sollen auf ihre Kosten kommen.

Mit allen niedersächsischen Krankenkassen hat das Hospiz kürzlich einen Versorgungsvertrag abgeschlossen. Damit ist gesichert, dass schwerstkranke Kinder mehrmals im Jahr ins Hospiz kommen können. In Ausnahmefällen auch häufiger, das muss der Medizinische Dienst entscheiden. Allerdings zahlen die Kassen nur einen bestimmten Tagessatz für Hospize und tragen nur einen Teil der Betriebskosten. Etwa 40 Prozent der laufenden Kosten müssten über Spenden aufgebracht werden, sagt Gaby Letzing: „Wir versuchen aber zu erreichen, dass Eltern überhaupt keinen Eigenanteil bezahlen müssen – die sind sowieso maximal belastet.“