: „Beitragssätze waren unseriös“
Betriebskrankenkassen wollten Mitglieder mit niedrigen Sätzen anlocken, so der SPD-Politiker Kirschner
taz: Herr Kirschner, das ist Schummelei. Die Kassen dürfen Schulden machen, damit die Beitragssätze sinken.
Klaus Kirschner: Nein, das ist keine Schummelei, das ist ein Kompromiss. Die Politik kann nicht einerseits fordern, die Kassen müssten die Beiträge senken, und andererseits daran vorbeigucken, dass bereits Schulden aufgelaufen sind. Da hat man jetzt mit der Streckung des Schuldenabbaus bis 2007 eine pragmatische Lösung gefunden.
Ist das eine Lösung, wenn die Gesundheitspolitiker die Kassen instrumentalisieren, um das politische Versprechen der Beitragssenkung einzuhalten?
Nun, wir bräuchten die ganze schwierige Operation Gesundheitsreform nicht zu machen, wenn es nicht gelänge, die Lohnnebenkosten zu senken. Politik lebt davon, Erfolge vorzuweisen. Deshalb schaffen wir jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen dafür, dass die Kassen Schulden machen können.
Es ist ein Versprechen auf Pump.
Die Kassen haben ja jetzt schon Defizite von fünf Milliarden Euro. Bis Ende des Jahres werden es sieben Milliarden sein. Also müssen wir die Möglichkeit schaffen, diesen Berg innerhalb der nächsten Jahre abzubauen.
Die Kassen bleiben sehr vage in ihrer Ansage: „Nach Möglichkeit“ werden sie die Beiträge senken. In Wirklichkeit rechnet doch niemand mit 0,7 Prozent Senkung 2004.
Deswegen ist es auch immer waghalsig, konkrete Zahlen zu versprechen – allzu oft muss man sich dann korrigieren. Gegenwärtig können wir nur sagen: Die Voraussetzungen sind zumindest geschaffen, dass die Kassen die Beiträge senken können. Ob das dann 0,7 Prozent werden … Da sollte man sich nicht festlegen. 0,5 Prozent ist doch auch schon etwas.
Aber die Betriebskrankenkassen erhöhen jetzt ihre Sätze und werden sie nächstes Jahr senken – unterm Strich wird dabei eine Erhöhung übrig bleiben. Ist das nicht Betrug an Wählern wie Versicherten?
Einige Betriebskrankenkassen haben offensichtlich ihre Sätze künstlich niedrig gehalten, um Mitglieder anzulocken. Das ist unseriös, und die Aufsicht hätte längst einschreiten müssen, dafür ist sie da. Auch die Sozialministerien der Länder wären gefragt gewesen.
Das Verhältnis zwischen Politik und Krankenkassen bleibt prekär. Die Kassen können die Reformer gegen die Wand fahren lassen, wenn sie sagen: Nein, wir können nicht senken, kein Geld da. Die Politiker sind erpressbar.
Das stimmt nicht. Die Kassen haben selbst das größte Interesse, die Beiträge zu senken – denn der Wettbewerb spielt sich gegenwärtig nun einmal über den Beitragssatz ab. Die Kassen wollen die Politik also gar nicht erpressen. Die Kassen sind es auch nicht, die die Reform an die Wand fahren lassen wollen.
Sondern?
Es sind doch die Kassenärztlichen Vereinigungen, die permanent Kampagnen gegen die Politik machen. Und es ist die Pharmaindustrie, die jeden Versuch austrickst, die Arzneimittelkosten in den Griff zu bekommen.INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN