: Tupperturm ist schon verspendet
McDonald‘s zeigt sein Herz für Kinder. Als Kunden sind sie Gold wert. Und für kranke Kinder entsteht in Essen ein von Hundertwasser geplantes Hotel
AUS ESSEN LUTZ DEBUS
Für die McDonald‘s Kinderhilfe ist der Tag schon gelaufen. Zur Begrüßung verteilt die Pressebetreuerin einen Text, demnach hat die Grundsteinlegung im Essener Gruga-Park schon stattgefunden: „Nahezu 300 Gäste hatten sich im Musikpavillon der Gruga versammelt.“ Doch dann huscht zum Auftakt doch noch ein Filmchen über die wenig abgedunkelte Leinwand: Zu sehen sind die Tränen von Eltern schwerkranker Kinder und dazu die Mutter: „Ich hab mein Kind nicht wiedererkannt. Es war von den Medikamenten so aufgeschwemmt.“ Gegenschnitt. Heitere Bilder aus den Häusern der Kinderhilfe, lachende Kinder, kochende Mütter, fütternde Väter. Ein Ehrengast hält eine Rede, dann wieder ein Filmchen, eine Rede.
Die Vizechefin von McDonald‘s Deutschland kommt zu Wort, auch Essens Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (CDU), ein Klinikprofessor. Als Abschluss interviewen Sara und Philip aus der 4. Klasse der Essener Käthe-Kollwitz-Schule den Schirmherren der Veranstaltung, den ehemaligen Boxweltmeister Henry Maske. Auch das trifft sich gut: Maske ist selbst Lizenznehmer des Gastronomie-Marktführers in Deutschland, betreibt Fastfood-Niederlassungen wie die in der BayArena Leverkusen. Und natürlich hat der Ex-Champion ein großes Herz für kleine Kunden, besonders dann, wenn sie schwer erkrankt sind.
Am Rande der Bühne zur Grundsteinlegung steht bereits das fertige Haus, im Maßstab eins zu fünfzig. Ein typisches Hundertwasser-Bauwerk, mit goldenen Zwiebeltürmchen, runden Fenstern und Rasen auf dem Dach. Die Farben erinnern an Jamaika. Rot, gelb und grün dominieren. Die Form des Gebäudes orientiert sich an einem Schiff oder aber an einem Vulkankrater. Der 2000 verstorbene Wiener Architekt wollte mit dem geschwungenen Grundriss an die Sicherheit einer Schutz spendenden Höhle erinnern.
Siebzehn Appartements sollen ab dem kommenden Jahr schwerkranken Kindern und deren Eltern zur Verfügung stehen. Eine Kamin-Lounge wird es geben, eine Empfangshalle, einen großen Saal zum Spielen, Gemeinschaftsküche, Bibliothek und Meditationsraum.
Wer bei der weltweit bekannten Fast-Food-Kette schon einmal an der Kasse stand, kennt die kleinen roten Häuschen aus Plexiglas, gefüllt mit Centstücken stehen sie auf der Theke. Die Klingelhäuschen lassen kaum erahnen, dass bei der McDonald‘s Kinderhilfe nicht nur Kleingeld den Besitzer wechselt. Das Ronald McDonald-Hundertwasser Haus wird 2,5 Millionen Euro kosten. Über eine halbe Million spendete allein ein US-amerikanischer Plastiknapfhersteller. Deshalb wird der Hauptturm in Essen „Tupperturm“ heißen. In dem auf Hochglanzpapier gedruckten Spendenkatalog kündet eine rote Banderole quer über diesem Turm aus tausendundeiner Nacht, dass er bereits „verspendet“ sei. Der Innenhof ist für 100.000 Euro noch zu haben, für 50.000 Euro bekommt ein Spender die Patenschaft über Gemeinschaftsräume. Bereits für 2.000 Euro gibt es immerhin ein kleines rundes Fenster. Dereinst wird das Krankenhotel im esoterischen Zuckerbäckerstil wie ein dreidimensionales Branchenbuch mit hunderten von Namensschildern bepflastert sein. Und die Liste der unterstützenden Unternehmen liest sich wie das Who is who der multinationalen Wirtschaft: Coca-Cola, Henkel, Hewlett Packard, Hypovereinsbank, IBM, Microsoft, Sixt, UPS. Auch Prominente werben für die Kinderhilfe: Rita Süßmuth, Annemarie Renger, Renate Schmidt, Carsten Jancker, Miroslav Klose, Katharina Witt, Herman van Veen.
Christoph E. Broelsch, der Direktor des Transplantationszentrums Essen ist Initiator des Projektes im Grugapark. Kinder bekommen bei ihm neue Herzen, Nieren und Lebern. Die stationäre Behandlung dauert etwa drei bis vier Wochen. Doch für ambulante Untersuchungen und Vor- und Nachbehandlungen müssen die Kinder einen Monat vor und einen Monat nach dem Krankenhausaufenthalt in Kliniknähe leben. Krankenkassen übernehmen nur die medizinische Behandlung, Folgekosten wie die ortsnahe Unterbringung der Eltern müssen die Betroffenen selbst leisten. Für Familien, so Broelsch, sei es ein Alptraum, in solch einer existenziellen Bedrohungslage wie einer Organtransplantation voneinander getrennt zu sein. Die chirurgische Behandlung während der Trennung von den Eltern bedeute eine doppelte Traumatisierung der Kinder. Psychische Schäden seien vorprogrammiert.
Ob das Engagement von McDonald‘s nicht auch eine Art Ablasshandel sei? Ist das Unternehmen mit seinen vor Zucker und Fett triefenden Produkten nicht mitverantwortlich für den desolaten Gesundheitszustand vieler Kinder? Professor Broelsch weist das zurück, die Produkte der globalen Imbisskette seien nicht ungesünder als andere Lebensmittel auch. Die Ursache für Fehlernährung bei Kindern sei vor allem beim unkritischen Verhalten ihrer Eltern zu suchen. Zumindest, und das streitet auch Broelsch nicht ab, ist die helfende Hand mit dem großen gelben M ein vorzüglicher Werbeträger. „Es ist doch für einen guten Zweck!“
Ist das wirklich so? Der siechende Sozialstaat ist nur noch durch Werbekampagnen multinationaler Unternehmen zu retten... Bislang wurde über die Verteilung von Hilfsgeldern in demokratisch gewählten Gremien entschieden. Bedeutet die McDonaldisierung des Gemeinwesens nicht auch, dass nur noch ästhetisch ansprechende Hilfsbedürftige Hilfe bekommen?
Stefan Koppelmann, Sprecher der Evangelischen Kirche in Essen, sieht das nicht ganz so düster: „Das Engagement der McDonald‘s Kinderhilfe ist grundsätzlich gut.“ Natürlich gebe es eine unausgesprochene Konkurrenz auf dem Spendenmarkt. Die Kirche zwinge das dazu, professioneller zu werden. Leider lassen sich die Arbeitsfelder konfessioneller, konventioneller Träger oft schlechter vermarkten als ein buntes Hundertwasserhaus. Deshalb müsse auch die Arbeit der Kirche emotionaler, sinnlicher dargestellt werden, ohne auf die Inhalte zu verzichten. Auch für Ferienfreizeiten erwachsener Behinderter wurde jetzt gesammelt, das Land als Kostenträger hatte alle Mittel gestrichen. Aus ihrem Urlaubsort schickten die Behinderten Postkarten an die Spender, bedankten sich. Stolz erwähnt Koppelmann, dass bei dieser Aktion binnen weniger Tage 23.000 Euro zusammen gekommen seien. Dafür hätte sich die Evangelische Kirche auch einen Messingstern auf dem Weg zum Ronald McDonald Haus leisten können, eingelassen in eine Steinplatte.
Zurück zur Grundsteinlegung. Moderatorin Martina Eßer vom Westdeutschen Rundfunk verliest das Grußwort von Joram Harel von der Hundertwasser-Privat-Stiftung Wien. Darin ist die Rede von einer Architektur, in der die Wasserwaage ausgedient hat, von der neuen Sehnsucht nach Romantik. Hundertwasser wollte den Menschen in das verloren gegangene Paradies zurückholen. Ob Alpen-Feng-Shui und Kaufhauskunst tatsächlich auf die Kinder, auf die ganze Familie eine so hohe therapeutische Wirkung hat wie eine Mitarbeiterin eines anderen Hauses der Kinderhilfe beschwört? Nur durch die Einbeziehung international bekannter Architekten, gibt die Hundertwasser-Vertreterin zu bedenken, habe man solvente Spender akquirieren können. Ein namhafter Schüssel- und Kloschüsselhersteller sei erst so dazu bewogen worden, die sanitäre Ausstattung des Hauses für die Hälfte des üblichen Preises zur Verfügung zu stellen. Für die Stadt Essen jedenfalls wird ab nächstem Jahr dieses Kunstwerk ein neuer Publikumsmagnet sein. Ob die staunenden Touristen im Gruga-Park heilend und helfend auf die kranken Kinder wirken?