post aus peking (4)
: Wo bleibt hier die Ekstase?

Pekings Nachtleben ist nur manchmal laut und heiß und wird hauptsächlich vom geselligen Restaurantbesuch bestimmt

Ausgehen in Peking ist ein Problem, an dem die Stadt noch eine Weile wird feilen müssen. Es geht schon los, wenn man die beiden englischsprachigen Stadtanzeiger aufschlägt: Melancholie erzwingende „Ladies“, „Beer“ und „Martini Nights“ hier, Grauen versprechende „Funky House“, „Salsa“ und „Flamenco Partys“ dort. Die deutsche Gemeinde glänzt überaus originell mit „Schlagerfeten“, und die Bars im Botschaftsviertel haben zwar länger auf als andere, enttarnen sich aber bald als üble Aufreißerschuppen, in denen man nur chinesische Frauen mit westlichen Männern sieht. Kein Mensch will in China ins Kino, wo nur schlechte Filme laufen und eine Eintrittskarte fünf Euro kostet, wenn man sich alle guten Filme für siebzig Cent das Stück als DVD kaufen kann.

Mit Theater ist auch nicht viel los, und das einzige Konzert einer internationalen Popgröße aus dem Westen im Juni war das von Sarah Brightman. Und selbst bei den schlecht besuchten Konzerten chinesischer Rockbands am Wochenende – dem einen am Freitag und dem anderen am Samstag – bleibt nach Ende des Konzerts keiner noch auf ein Bier, meist leeren sich die Clubs nach den Konzerten spätestens um elf. Was machen die Menschen in Peking, wenn sie sich mal eine Nacht geben wollen? Wo bleibt hier die Ekstase?

Junge Leute, die in Peking aufgewachsen sind, wohnen meist bei ihren Eltern – und wenn sie jünger als Mitte zwanzig sind, haben sie wegen der Einkindpolitik keine Geschwister und das elterliche Interesse lastet schwer auf ihnen. Eine gute Ausbildung in China kostet viel Geld und will in kürzester Zeit absolviert sein. Andere, die nicht aus Peking stammen, wohnen oft in Studentenwohnheimen, die um zwölf Uhr nachts die Pforten verriegeln. Einige junge Frauen sind noch immer in Geschlechterkämpfen verheddert, haben einen Freund, der sie zu Hause wissen will.

Selbst der hartgesottene Punk, den man nicht vor zwei Uhr mittags anrufen darf und der anders als die anderen am äußersten Rand der Stadt eine eigene Wohnung hat, kann sich selten ein Taxi leisten. Und in einer Karaokebar oder Großraumdisko gesichtet zu werden, dort, wo sich der Mainstream amüsiert, das wäre sowieso das gesellschaftliche Aus für ihn. Also bleibt er meistens zu Hause und guckt Fußball. Seine Theorie: Das Pekinger Nachtleben ist, wie es ist, weil darin keine Drogen vorkommen. Wer sich in einem Land, in dem Drogenkonsum mindestens mit Umerziehungslager bestraft wird, schon mehreren Urintests unterziehen musste, der wird sich sogar den nächsten Joint sehr genau überlegen.

Was bleibt? Es scheint, als sei der kleinste Nenner, auf den sich in Peking alle einigen können, der gemeinsame Restaurantbesuch. Dabei gilt: Alles geht für alle. Besagter Punk zum Beispiel besucht, wenn ihm seine geduldige Mutter wieder einmal Geld geschickt hat, am liebsten eine Art chinesisches Hofbräuhaus auf drei Etagen: rote Chinalampen und kunstvolle traditionelle Holzschnitzereien überall, Livebands im Erdgeschoss und Verkaufsveranstaltungen für Kalligrafien im ersten Stock. An diesem Abend gibt es Pekingente. Außerdem bestellen der Punk und seine zahlreich erschienenen Freunde, allesamt in Lederjacken und Springerstiefeln, einen ganzen Fisch, Shrimps in Pfeffermantel, Muscheln mit Knoblauchdeckel, Hühnchen mit Erdnusssauce, Lammkeulen in Kümmel, Schwein in Kokos, Lotoswurzeln in Honig, Lilienzwiebelgemüse, Babybambus mit jungen Bohnen und frittierten Mais mit Pinienkernen. Das macht fünfzig Euro für zehn Leute.

Nebenan singen in einem Séparée chinesische Geschäftsmänner laute Lieder, an den Nachbartischen sitzen Junge und Alte, Familien, Freunde, Liebespaare und beäugen kritisch unseren Tisch mit den vergleichsweise wenigen und winzigen Tellern. Und obwohl es so schön laut ist und heiß – laut und heiß nennt man hier einen Abend, der als gelungen betrachtet werden kann – verlassen sämtliche Gäste pünktlich um zehn das Restaurant. Man ist schließlich schon seit Stunden hier. Und zu Hause gibt es heute wieder Fußball im Fernsehen. SUSANNE MESSMER