: Mit Snickers nach Amerika
Wie kann die Bundesregierung in den USA wieder hoffähig werden? Darüber dachten die Grünen ohne NGOs, aber mit vielen US-Amerikanern nach
aus Simonskall BERND MÜLLENDER
Auf den Konferenztischen waren Teller mit Cookies und Snickers drapiert. Daneben hatten die Veranstalter in kleine Schalen symbolische Plastikfähnchen gesteckt, je eine deutsche und eine US-amerikanische. Die Arrangements wirkten anfangs wie ein netter kleiner ironischer Wink.
Doch je länger die grüne Tagung im Eifelort Simonskall unter dem Titel „Special Relationship Deutschland–USA“ dauerte, desto klarer wurde: Das ist alles ernst gemeint. Wer Kekse knabbert zeigt: Ich bin ein Amerikaner – zumindest ein bisschen. Die Winkelemente waren Symbol für Gemeinschaftlichkeit, eine grüne Demonstration der Versöhnungsbereitschaft. Die Zeiten ändern sich eben: Früher, selbst ohne den offenkundigst völkerrechtswidrigen Irakkrieg, brannten auch bei Grünen die Stars und Stripes. Tempi passati: Fischer und Co regieren das Land.
Die grüne Heinrich-Böll-Stiftung NRW hatte am Wochenende zur Sommerakademie geladen. Geklärt werden sollte das politisch „wohl am stärksten emotionalisierte Thema“ dieser Tage. Gut 60 Leute waren in die abgelegene Nordeifel gekommen, in der Mehrheit grüne Sympathisanten, meist um die 50, aber auch einige Jugendliche.
In der Einladung stand, man wolle auch den „Antiamerikanismus reflektieren“. Ein grüner Landtagsabgeordneter gab dagegen als Tagungsmoderator gleich zu Beginn die Losung aus: „Antiamerikanismus wollen wir vermeiden, schon als Begriff.“ Und Jörn Böhme, wissenschaftlicher Koordinator der Bundestagsgrünen, Schwerpunkt US-Politik, empörte sich über Umfragen, nach denen 31 Prozent der unter 30-jährigen Deutschen glauben, die USA hätten bei den Anschlägen vom 11. September selbst die Finger im Spiel gehabt. Über die 130.000er Auflage des Verschwörungsbuches von Mathias Bröckers zum 11. September konnte er nur den Kopf schütteln.
Solche Phänomene blieben bei dieser Tagung ausgespart. Und damit ein Teil der Realität. Denn egal ob sie gut oder schlecht, wahr oder falsch sind, sind sie Teil der Wut über George Bush’s Own Country. Kein Vertreter von Attac oder einer anderen NGO war eingeladen worden, wohl aber Zeit-Redakteur Richard Herzinger. Der geißelte die deutsche Weigerung, am Marsch auf Bagdad teilzunehmen, und forderte: „Wir müssen aufhören zu lamentieren, wie uninformiert und ignorant selbst US-Intellektuelle sind, sondern uns Gedanken machen, wie uninteressant wir Europäer für die USA geworden sind. Wir müssen uns abgewöhnen, unseren Provinzialismus hinter Bildungsdünkel zu verstecken.“
So wurde die Tagung zu einem Ort von Beschwörungstheoretikern, die sich ausführlichst mit der Frage beschäftigten, wie die Deutschen in den USA wieder akzeptiert werden könnten. Der Grazer Amerikanist Walter Grünzweig sieht „Antiamerikanismus auch als Reflex verschmähter Liebe.“ Aus Washington hatte der frühere Böll-Büroleiter Sascha Müller-Kraenner eine Portion „Antigermanism“ mitgebracht, in Witzform: „Drei Todesurteile sollen vollstreckt werden. Nach seinem letzten Wunsch gefragt, bittet der Franzose, noch einmal die Marseillaise singen zu dürfen. Der Deutsche sagt, er wolle eine Rede halten gegen die US-Politik. Da fleht der Amerikaner: Dann erschießt mich bitte vor dem Deutschen.“
Das idyllische Eifeldorf Simonskall war mit Bedacht gewählt: Hier, im Hürtgenwald, erlebte die US Army Ende 1944, mitten in der erfolgreichen Befreiung von Nazi-Deutschland, nach einem fürchterlichen Gemetzel die verlustreichste Schlacht ihrer Geschichte: 50.000 tote US-Soldaten innerhalb weniger Wochen, weit mehr als im gesamten Vietnamkrieg.
„The Battle of Hurtgen Forest“ ist bis heute ein ebenso gern verdrängtes wie traumatisierendes Thema der US-Militärgeschichte, weil eine groteske Fehleinschätzung der Lage das Desaster auslöste. Und es gibt ernsthafte Einschätzungen lokaler Grünen-Politiker, die besondere Empörung der US-Regierung über Deutschlands undankbaren Sonderweg im Irakkrieg habe speziell mit dem blutreichen Befreiungs-Desaster in der Nordeifel zu tun.
Die US-Referenten waren in Simonskall die spitzfindigsten: „Die Bush-Regierung ist eben fundamentalistisch“, definierte der Münsteraner US-Amerikanist Ransam Bradford, „sie interpretieren unsere Verfassung als säkulare Heilige Schrift.“ Motto: God bless America, und gesegnet geht es gegen die Ungläubigen. Manchmal, so meinte Bradford, müsse man „den Deutschen das Deutschsein erklären“, und kramte viele viel belächelte Beobachtungen aus unserer komischen Kultur hervor: Einen Begriff wie „ausländischer Mitbürger“ könne kein US-Bürger verstehen.
Die Dortmunder Filmemacherin Cathy Joritz sagte nach einer langen Videosequenz über Kennedys Westberlin-Besuch 1963: „Mich hat das wirklich erschrocken, wie begeistert ihm die deutschen Massen zugejubelt haben. Ich habe sofort an das Dritte Reich gedacht. Endlich haben sie wieder einen Führer.“ Das sah sehr nach beidseitigen transatlantischen Verwirrungen aus.
Das US-Magazin Newsweek hatte im Herbst 2001 getitelt: „Warum hassen uns alle so sehr?“. Doch in Simonskall kam kaum die Frage auf, was uns an der einzig verbliebenen Supermacht nicht gefällt. Die Soziologin Karin Priester glaubt, die Zurückhaltung hatte auch mit den US-Gästen zu tun: „Da war man höflich.“ Eine Zuhörerin leitete ihren Beitrag mit den Worten ein: „Wenn Sie anderer Meinung sind als ich, korrigieren Sie mich …“ Und in den Pausen wurde mit süffisantem Lächeln politisch-korrekt nach Pepsi gefragt, weil das kleinere Cola-Übel die Demokraten finanziert, während Coke hoch gesponserte Republikaner-Limo ist.
Eine Teilnehmerin aus Bonn, engagiert bei Pax Christi, die 1944 die Schlacht im Hürtgenwald als 10-Jährige drei Monate in einem Bleibergwerk überlebte, fand die Anti-Antiamerikanismus-Tagung „sehr facettenreich, und auch sehr US-wohlwollend. Aber meine Ablehnung der US-Politik trage ich ohnehin tief in mir.“ Die Bush-Krieger erinnerten sie „an Friedrich den Großen, der mit einem Stock prügelnd hinter den Leuten herrannte und sagte: Liebt mich! Liebt mich!“. Dass der Tenor des Referenten Herzinger, „im Irak die Demokratie mit Gewalt voranzubringen“, so wenig Widerspruch erntete, hätte sie „auf einem grünen Kongress nicht erwartet“.
Eines übrigens einte alle, Linke und ehemalige Linke ebenso wie Deutsche und US-Bürger. Alle sprachen vier Tage lang immer von „Amerika“. Mexikaner und Kanadier würden das vielleicht Kontinentalimperialismus nennen. „Schon die Namensgebung United States of America“, meint Priester, „kann man ja imperialistisch nennen.“
Was wohl der Pazifist Heinrich Böll auf der Tagung gesagt hätte? Der, 1985 kaum 15 Kilometer entfernt in Langenbroich gestorben, zog 1967, während neue alliierte Militärjets über ihn hinwegdonnerten, seine Lehre aus dem Gemetzel im Hürtgenwald: „Oh, ihr toten und lebenden Freunde, vergesst nicht: Be on your guard, you are in Germany.“