Schatten über St. Pauli

Kita „Kinderland“ muss zwei Erzieherinnen entlassen. Die übrigen fünf müssen Stunden reduzieren. Heim-Leiter: Im schlimsten Fall bleiben nur 20 von 56 Kindern. Kita-Träger fürchten das Jahresende. Dann laufen 11.811 Übergangsscheine aus

von KAIJA KUTTER

Dass berufstätige Eltern keinen Kita-Gutschein bekommen, ist nur die eine Seite des aktuellen Kita-Dilemmas. Die andere ist nicht minder dramatisch. Die freien Träger sprechen davon, dass nach wie vor erst 70 Prozent der Scheine eingegangen sind. Ohne diese ist das Gehalt der Mitarbeiter nicht gesichert. Besonders betroffen sind Kitas in sozialen Brennpunkten wie St. Pauli. Der kleine Träger „Kinderland“ musste dort zum 1. August zwei Erzieherinnen entlassen.

„Die Kinder haben alle geweint“, berichtet Bianca Molle. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Nicole Schröder hat sie seit zwei Jahren eine Gruppe von zwölf Kindern betreut. Doch die beiden Erzieherinnen hatten nur befristete Verträge, die Geschäftsführerin Bärbel Otto-Utz nun nicht verlängern kann. „Die Kita-Gutscheine werden in den sozialen Brennpunkten nicht vergeben, wie wir dachten“, berichtet die Leiterin des gemeinnützigen Trägers, der außerdem noch fünf weitere Kitas betreibt. Sieben der 60 Hamburger Kinderland-Mitarbeiter müssen wegen des Kita-Systemwechsels gehen.

Die Aussichten für Erzieherinnen auf dem Arbeitsmarkt seien schlecht, berichtet Bianca Molle: Sie müsse „wohl eine neue Ausbildung machen“. Da es künftig fast nur noch Vormittagsplätze gibt, werden auch nur Halbtagsjobs mit 15 bis 20 Stunden angeboten. Der Verdienst in dem klassischen Frauenberuf, der immerhin eine vierjährige Ausbildung voraussetzt, ist so schlecht, dass sich davon nicht leben lässt.

„Mich regt auf, dass die Kinder in ihrem Gruppengefüge so durcheinander gebracht werden“, empört sich die Mutter Harriett Hartrampf, die im Schmidts Tivoli als Buchhalterin arbeitet und ihren Sohn im Kinderland betreuen lässt. Doch die Entlassung der zwei jungen Frauen ist erst der Vorbote weiterer Verschlechterungen. „Bis zum Sommer hatten wir 56 Kinder. In Zukunft sind es bestenfalls 43 und schlimmstenfalls 20“, sagt Kita-Leiter Volker Schlegel. 80 Prozent der Eltern seien Migranten, nur die wenigsten Mütter aktuell berufstätig. Dies bedeutet nach den Kriterien des Kita-Gutscheinsystems, dass sie nur noch Anspruch auf die vier-stündige Mindestbetreuung haben. Deshalb müssen alle übrigen fünf Mitarbeiter mit Stundenkürzungen rechnen. Auch das „Herz“ der Einrichtung, die Küchenfrau, muss wohl gehen.

In St. Pauli können Kinder nicht auf der Straße spielen. „Sie werden fernsehen oder Gameboy spielen“, befürchtet Schlegel. „Ich bin fürchtbar böse wegen dieser Sache. Etwas, was dem Stadtteil Halt gibt, wird kaputtgemacht“, sagt Harriet Hartrampf. „Die machen hier so viel, gehen schwimmen oder zum Weihnachtsbäcker an der Alster. Für viele Kinder ist das das einzige, was für sie veranstaltet wird.“

Auch größere Träger haben Sorgen in sozialen Brennpunkten. So kann die Arbeiterwohlfahrt ihr gegenwärtiges Personal dort nicht halten. „Wir müssen wohl eine Menge Verträge verändern und befristen“, sagt Referentin Monika Holthusen. So seien 250 Plätze in Awo-Kitas nicht belegt, auch hätten viele Eltern nur 4-Stunden-Plätze ohne Mittagessen bekommen. Selbst die Caritas hat nur Gutscheine für 70 Prozent der Plätze. Alle Hoffnung ruht nun auf nachtrudelnde Scheine nach Ferienende.

Die städtische Vereinigung steht etwas besser da. Sie hatte Anfang Juli rund 18.500 Gutscheine für ihre 21.000 Kinder beisammen. Doch deren Chef Martin Schaedel räumt ein, dass es auch „negative Ausreißer“ in Stadtteilen mit geringer Erwerbsquote wie Wilhelmsburg und Steilshoop gibt, in denen Personal abgebaut und in andere Stadtteile versetzt werden muss.

Das eigentlich „spannende Datum“, so Schaedel, sei der 31. Dezember. Dann laufen die Übergangsregelungen für insgesamt 11.811 Kinder aus, die jetzt noch geduldet sind. Diese Zahl wurde den Trägern von der Behörde genannt. Hochgerechnet auf die 50.000 Kita-Kinder heißt das: Jedes fünfte ist betroffen.