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Archiv-Artikel

Fortschreitende Pillenpreise gerettet

Ein Abend im Kanzleramt macht’s möglich: Die Pharmaindustrie darf weiter die Preise für ihre Neuentwicklungen bestimmen. SPD-Gesundheitspolitiker bezweifelt, dass die Industrie nun noch ihren Beitrag zur Gesundheitsreform entrichten wird

VON ULRIKE WINKELMANN

Der Preis des gestrigen Tages für die größtmögliche Anhäufung von Fortschrittsfloskeln ging eindeutig an das Gesundheitsministerium. In einer mehrseitigen Presseerklärung versuchte das Ministerium zu erläutern, was am Abend zuvor im Kanzleramt vor sich gegangen war.

Dort hatten sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Gerhard Schröder selbst (alle SPD) sowie einige Chefs der Pharmaindustrie getroffen. Drei Stunden lang wurde diskutiert, ob und wie die Anforderungen der Gesundheitsreform an die Pharmaindustrie gedämpft, gedeckelt oder abgeschüttelt werden könnten. Und nun bemühte sich Schmidts Ministerium, das Ganze als „Stärkung der Rahmenbedingungen für medizinische Innovation in Deutschland“ zu verkaufen.

Im Ergebnis hat die Pharmaindustrie wesentliche Siege errungen. Zwei Hebel der Reform, mit denen die Preise für patentgeschützte Medikamente gedrückt werden sollten, wurden am Dienstagabend abgebrochen. Die so genannte Festbetragsregelung sah Folgendes vor: Der zuständige Bundesausschuss von Kassen und Ärzten entscheidet, welche Pharmaprodukte echte therapeutische Verbesserungen bringen und welche nicht. Handelt es sich bei einer neuen, patentgeschützten Pille – wie in den allermeisten Fällen – um eine bloße Scheininnovation, so wird die patentgeschützte Pille behandelt wie alle anderen und muss hinnehmen, dass sie ins Preisdeckelungsverfahren mit einbezogen wird. Im Fall von Magen-, Bluthochdruck- und Migränemitteln ist dies bereits geschehen.

Nun haben die Chefs von GlaxoSmithKline, Schering und Co erstens erreicht, dass der Bundesausschuss mit ihnen und dem Ministerium noch einmal über die Kriterien für die „therapeutischen Verbesserungen“ verhandeln muss. Die Pharmaindustrie will, dass „die Verminderung von Nebenwirkungen mit berücksichtigt wird“, erklärte der Sprecher des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VfA), Rolf Hömke, der taz.

Der Bremer Pharmakologe Peter Schönhöfer sagte der taz dazu: „Wenn die Industrie Mitspracherecht erhält, wird sie ihren Scheininnovationsbegriff durchsetzen. Dann gilt jeder Mist als Innovation.“ Die Verminderung von Nebenwirkungen sei zwar erwünscht, falle aber unter „subjektive Erlebnisse“ des Patienten und sei nicht unabhängig kontrollierbar. „Da die Industrie hierzu die Studien durchführt, wird sie diese manipulieren, wie sie will“, sagt Schönhöfer.

Zum Zweiten haben die Pharmachefs erwirkt, dass die patentgeschützten Medikamente nicht in den Preisabgleich mit den anderen Medikamenten – größtenteils Generika, also Nachahmerprodukte – geworfen werden. Das bedeutet, dass es für Generika und für patentgeschützte Pillen zwei verschiedene Preisdeckel geben wird. Letztere dürften also weiterhin teuer verkauft werden, was der Industrie auch deshalb wichtig ist, weil die Preise in Deutschland für den Rest Europas eine Art Leitgröße sind.

Gleichwohl soll die Industrie ihr Sparziel erfüllen: Eine Milliarde Euro müssen jährlich erbracht werden. Der SPD-Gesundheitspolitiker Klaus Kirschner erklärte hierzu der taz: „Wenn die gemeinsamen Preisgruppen wegfallen, ist das Einsparziel auf Dauer nicht zu halten.“ Er könne sich „nicht vorstellen“, dass die Pharmaindustrie diese Vorgabe nun noch erfüllen werde.

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