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Archiv-Artikel

Nur noch starre Gesichter

„Sie hatte ihren Spirit verloren“: Ein Gespräch mit dem Berliner DJ-Duo Martini Brös, die bei der ersten Love Parade 1989 dabei waren, es aber trotzdem nicht bedauern, dass sie heute ausfällt

INTERVIEW ULF LIPPITZ

taz: 1989 führte die Love Parade das erste Mal über den Ku’damm – das war dasselbe Jahr, als Sie, Clé, anfingen, Platten aufzulegen.

Clé: Stimmt. Ich war sogar dabei auf dem Ku’damm, aber zu spät, weil ich dachte, das ist mal wieder so eine besoffene Idee, da kreuzt niemand auf. Kurz vor Schluss bin ich hin und fand dieses lustige Häuflein von 120 Leuten. Es hat fürchterlich geregnet, aber die Leute hatten unheimlich gute Laune. Das war sehr herzergreifend.

Sind Passanten stehen geblieben?

Clé: Sie mussten. Die Fahrbahn war teilweise gesperrt. Es gab so einen kleinen Wagen von Robben & Wientjes, auf dem die ganze Zeit Tapes von Motte liefen.

Man musste die Kassetten noch umdrehen?

Clé: Oder man drückte „Auto Repeat“. Das Auflegen fing erst 1992 an. Das haben wir auf dem E-Werk-Wagen probiert, indem wir Medizinbälle nahmen, die Luft rausließen und das Mischpult draufstellten. Als DJ hatte man damals einiges auszuhalten. Es war sehr modern, die Wasserpistolen mit Zuckerwasser zu füllen. Man kann sich vorstellen, wie die Platten danach aussahen.

Wie war Ihre erste Parade, Mike Vamp?

Mike Vamp: Ich arbeitete 1991 in einer T-Shirt-Druckerei in Kreuzberg, in der wir hauptsächlich Antifa-Motive machten. Motte kam auf mich zu und fragte, ob ich Shirts für die Parade drucken könnte – grasgrüne mit orangefarbenem Aufdruck. Die Jungs in der Werkstatt haben gemeckert, das sei kommerzieller Mist, aber wir brauchten Kohle. Auf der Parade wurden sie mir aus der Hand gerissen. Wir mussten noch in derselben Nacht neue drucken, hatten aber ein Problem mit der Farbe des Schriftzuges. Sie trocknete nicht richtig. Die Leute schwitzten in diesen Shirts, die Farbe zerlief – und am Ende sah das Shirt wie das Cover eines Sepultura-Albums aus. Bald darauf stand ein Ghettoblaster in der Werkstatt und meine Kollegen hörten alle Techno.

In dieser Zeit wurde Techno immer beliebter.

Mike Vamp: Ich mochte Techno nicht so, konnte mir das nicht lange anhören, weil mich das total unter Stress setzte. Ich kann mich noch erinnern, als ich die ersten Male auf der Mayday arbeitete, und diese Beats anrollten. Das ging gar nicht.

Clé: Die Energie von den Leuten war damals extrem. Die sind rein, rauf auf die Tanzfläche, und zack, ging das los. Im Tresor war das ungeheuer intensiv. Ich arbeitete eine Weile hinter dem Tresen. Wir mussten die Flaschen quasi auf Leisten nageln, weil sie sonst wegen des Basses aus den Regalen flogen. Über zwei Jahre kam regelmäßig eine Gruppe von Taubstummen, um den Bass zu spüren. Die wussten wenigstens, wie man ohne zu sprechen seine Getränke bestellt.

Jetzt fällt die Parade, wie sie war, aus. Bewegt Sie das?

Clé: Wenn sich eine Sache nicht mehr trägt, sollte man daran denken aufzuhören. Für uns war in letzter Zeit die Parade eine Industrieveranstaltung. Am Ende hat kaum jemand getanzt, sondern man trank Bier unter freiem Himmel und sah sich Werbung vom Deutschen Gewerkschaftsbund an.

Mike Vamp: Oder einen Wagen von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Das wirklich Positive passierte in den Clubs um die Parade herum. Eine kleine Messe war das. Alle trafen sich einmal im Jahr – und danach konnte man in den Urlaub fahren.

Clé: Die Parade hat den alten Spirit verloren.

Was meinen Sie damit?

Clé: Nicht alles durchorganisieren müssen. Nicht schon ein Jahr vorher einen Wagen reservieren und dafür viel Geld bezahlen müssen. Die Love Parade ist in den letzten Jahren extrem starr und bürokratisch geworden.

Mike Vamp: Laufend die Schwierigkeiten mit den Grünanlagen. Die Leute von außerhalb denken ja, ist immer so, in Berlin sind alle locker, fühlen sich frei und pissen überall hin. Wenn sie vier Wochen warten müssen, bis alles wieder aufgeforstet wird, ist es doch klar, dass die Berliner dagegen sind.

Der Kölner Bürgermeister hat angeboten, die Parade in Köln auszurichten.

Clé: Vielleicht spielt die Stadt keine Rolle mehr. Berliner sind doch kaum noch zur Parade hingegangen. Von mir aus kann sie ruhig woanders stattfinden.

Mike Vamp: Mir ist das auch egal. Sie hat sowieso keinen Glamour mehr. Früher am Ku’damm haben sich die Leute überlegt, wie sie sich stylen. Die ganze Transen-Abteilung war da.

Ist der CSD für Sie attraktiver geworden?

Clé: Ja, da ist mehr Esprit drin. Die Leute bewegen sich zur Musik, laufen nicht nur mit der Bierdose in der Hand hinterher. Bei der Berichterstattung zur letzten Love Parade habe ich nur versteinerte Gesichter gesehen. Eine tote, homogene Masse, während auf dem CSD die Leute komplett ausflippten.

Mike Vamp: So ähnlich funktioniert auch der Karneval der Kulturen. Aber zugegeben: Den Karneval hätte es ohne die Love Parade vielleicht nie gegeben.

Clé: Die Mutter der Paraden soll sich jetzt in ihren Lehnsessel setzen und ihre Kinder wohlwollend betrachten.

Auf eBay sollten Schlüsselanhänger versteigert werden, auf denen steht „Ich bin ein Retter“, um die Love Parade zu finanzieren.

Mike Vamp: Das St.-Pauli-Prinzip. Eigentlich eine nette Idee.

Clé: Aber in Hamburg war es eine Initiative von den Fans und nicht von den Verantwortlichen. Das wär so, als würden wir sagen: Hey, wir machen unsere Platte nur, wenn ihr noch ein bisschen Geld abdrückt. Da könnte man auch gleich Eintritt nehmen.