: Wie Feinde!
Über das Verhalten der VolksvertreterInnen
Die Verantwortlichen dieses Landes sprechen immer von „Reformen“. Auch die Medien benutzen ungefiltert diesen Ausdruck. Keiner hinterfragt, wie ein Rotstift eine Reform bewirken kann? Fakt ist: Er kann es nicht. Eine Reform ist etwas qualitativ Neues. Ein Rotstift, der die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet und Millionen von Menschen zunehmend und systematisch in Angst und Schrecken versetzt, ist nichts als ein Rückfall in vergangene Zeiten. Und genau das bewirkt diese „Reform“. Nicht erst seit gestern.
Die Unfähigkeit der Politik und die damit verbundenen Widersprüche sind ungeheuer. Beispiele: Auf der einen Seite wird über Eliteschulen „philosophiert“; auf der anderen Seite katapultiert man die vorhandene Elite in die Erwerbslosigkeit. Nie zuvor sind so viele Akademiker/innen beim Arbeitsamt Schlange gestanden! Wie abgehoben und fern der wirklichen Welt unsere „Volksvertreter/innen“ sind, zeigt auch der totale Misserfolg der Greencard-Schnapsidee. Fakt ist, dass deutsche IT-Fachleute massenweise nicht in Lohn und Brot sind und von der Wirtschaft inzwischen „Angebote“ bekommen, die eine blanke Unverschämtheit sind.
Notrufe, Beratungsstellen und Frauenhäuser (die immer auch Kinderhäuser sind) werden zunehmend geschlossen. Damit wird nicht nur das ohnehin wacklige und finanziell stets mickrig ausgerüstete Hilfesystem endgültig ausgeknockt; nein, man schickt durch solche im Grunde kriminellen Entscheidungen erfahrene und gut ausgebildete Psychologinnen, Therapeutinnen und Sozialarbeiter/innen in die Arbeitslosigkeit, was dann doppelte Kosten verursacht: Arbeitslosengeld und die kurz-, mittel- und langfristigen Kosten für noch mehr Gewaltopfer. Dabei sind es ganz klar Peanuts, die man hier „spart“.
Doch damit nicht genug! Die Verzweiflung und die zunehmende Lähmung der Menschen reicht augenscheinlich nicht. Jetzt sollen „Hausbesuche“ vom Arbeitsamt in die Privatsphäre der Menschen eindringen dürfen, da wir ja alle potenzielle Betrüger/innen sind, die zu faul zum Arbeiten sind, und weil es doch so viele Arbeitsplätze gibt? Damit überschreitet man auch das letzte Tabu: Artikel 13 Grundgesetz! Die Unverletzlichkeit der Wohnung! Und das ist immer noch nicht alles. Das Erschreckende ist, dass das oberste Gebot „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Artikel 1 Grundgesetz) längst zu einer Floskel verkommen ist, die auf irgendeinem Papier steht. Die Art und Weise, wie man von Ämtern, Krankenkassen u. a. abgebügelt wird, entspricht doch schon seit Jahren nicht mehr diesem obersten Gebot. Doch der Kanzler sagt in seiner Presseerklärung zur Agenda 2010: „Ich muss tun, was getan werden muss im Interesse des Landes.“ Das ist blanker Hohn. Der Mann redet wie ein stockkonservativer Familienvorstand, dessen Erkenntnisresistenz nur noch von seinem totalen Desinteresse an den „eigenen Kindern“ übertroffen wird. Was er nämlich unter „Interesse“ versteht, wissen wir. Bei sich selbst setzen die Damen und Herren aus der Kaste der Berufspolitiker nicht an. Gleiches gilt für ihre Berater, die in der Regel aus dem Bereich des Management kommen und mit demselben Tunnelblick ausgerüstet sind. Dabei gibt es kaum ein Land, das sich so viele Abgeordnete leistet wie Deutschland. Gut 600, plus all der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen und sonstigen Beamten. Die Hälfte wäre mehr als genug, zumal die meisten gar keine echten Volksvertreter/innen sind, sondern Lobbyist/innen für einzelne Interessengruppen, die still und gut bezahlt ihre Arbeit verrichten. Von unseren Steuergeldern, aber nicht für uns. Und wenn sie Mist bauen, haften sie dafür nicht. Der Skandal mit der Maut ist ja nur ein kleines Beispiel! Die jährlichen Steuerverschwendungen bezahlen wir. Es sind Milliarden. „Die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland müssen umgebaut werden“, sagt der Kanzler. Da hat er Recht. Wann beginnt er damit? Antwort: Nie. […]
MONIKA GERSTENDÖRFER, Metzingen
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.