: Die vergessene Gefahr
Es geht um mehr als Schlappsein. Ozon kann in die Lunge eindringen und die Zellmembranen schädigen
von HANNA GERSMANN
Am besten, Sie bleiben zu Hause, machen die Fenster zu, schalten den Ventilator an. Dazu nehmen Sie ein kühles Getränk. Lesen Sie, schauen Sie Ihren Lieblingsfilm! Denn draußen, im schönsten Sommer, da lauert ein Gift: Ozon. Sie dachten, das sei vorbei? Nie wieder Sommersmogwarnungen, die die Radiosendung unterbrechen? Nein, es ist seit langem der heißeste August, und die Ozonkonzentrationen sind so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Allein in Baden-Württemberg wurden am Montag an vier Stellen 240 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft gemessen. Den Spitzenwert gab es in Baden-Baden: 265. Nach dem Ozongesetz hätte es Sommersmogalarm gegeben. Das aber gilt seit 1999 nicht mehr.
„Jetzt leidet jeder Fünfte“, sagt Dieter Teufel vom Heidelberger Umwelt- und Prognoseinstitut. Die Augen tränen, der Kopf schmerzt, das Atmen fällt schwer. Ozon ist äußerst aggressiv. Für empfindliche Personen gelten Werte ab 180 Mikrogramm pro Kubikmeter bereits als kritisch.
Allerdings reagiert nicht jeder gleich stark auf den Stoff, der sich im Sonnenlicht aus Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen bildet (siehe Text rechts). Generell aber gilt: Je höher die Ozonkonzentration in der Luft ist und je länger jemand dem Ozon ausgesetzt ist, umso wahrscheinlicher sind Beschwerden.
Gegen ein bisschen Sport draußen, da sind sich die Experten einig, ist aber nichts einzuwenden. Joggen Sie aber in Maßen und möglichst nicht in den Mittagsstunden! Lüften Sie morgens und abends, dann ist die Ozonkonzentration am niedrigsten. Verzichten Sie auf ausgiebiges Sonnenbaden, auch wegen der Hitze! Kinder sollten draußen nicht zu viel toben, Ältere und Herzkranke zumindest nachmittags drinnen bleiben. Säuglinge, bei denen das Immunsystem noch nicht vollständig ausgebildet ist, sind durch Ozon besonders anfällig für Atemwegsinfektionen.
Es geht allerdings um mehr als Schlappsein. Das Umweltbundesamt warnt: Weil Ozon die Lunge reizt, können andere Allergene tiefer in das geschädigte Gewebe eindringen, allergische Reaktionen hervorrufen. Und bei Bakterien, Pflanzen und Säugetieren habe Ozon auch Krebs ausgelöst. Dieter Teufel rechnet hoch, dass zwischen 1990 und 1995 23.500 Menschen durch Sommersmog gestorben sind.
Das waren Jahre, in denen für Autos ohne Kat noch Fahrverbote ausgesprochen werden konnten. 1998 passierte das zum ersten Mal. Doch nur wenige hielten sich daran. Ein Jahr später lief das Ozongesetz – nach der damaligen CDU-Umweltministerin gerne Merkel-Gesetz genannt – aus. Der grüne Merkel-Nachfolger Jürgen Trittin legte den Entwurf einer Novelle vor. Bei Stichworten wie „Tempolimit“ und „Verbot für den Betrieb benzingetriebener Rasenmäher“ an Ozonspitzentagen winkte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) aber ab. „Man hatte Angst, sich mit Pseudoregelungen lächerlich zu machen“, sagt der umweltpolitische Sprecher der Grünen, Winfried Hermann, rückblickend. Weil sich die Katalysatoren durchgesetzt hätten, seien Fahrverbote heute umstritten. Tatsächlich haben sich die Stickoxidemissionen von Pkws, Ausgangssubstanz für Ozon, von 800.000 Tonnen im Jahr 1990 auf 200.000 Tonnen im Jahr 2003 reduziert. Zusammen mit den im Vergleich zum Pkw höheren Emissionen der Lkws werden aber noch immer genügend Stickoxide in die Luft geblasen, die bei tagelangem Sonnenschein für Ozonwerte in Rekordhöhe sorgen. Hermann: „Wir hätten uns für solche Wetterlagen etwas überlegen müssen.“ Jetzt appelliert er an alle, das Auto stehen zu lassen.
Nicht einmal die Flucht aufs Land schützt. Die Schadstoffe, die zum Ozon führen, werden in alle Richtungen geweht. So sind die Werte in einsamen Höhen der Mittelgebirge, wo die Sonneneinstrahlung besonders direkt ist, auch besonders hoch. Die Politiker setzen jetzt auf das Wetter. Hermann prognostiziert, diese Woche gebe es zwar noch einen Anstieg der Ozonkonzentrationen. „Doch mit den ersten Gewittern ist das vorbei.“