: Trauer in Brasilien
Im Alter von 98 Jahren stirbt Brasiliens Medienzar Roberto Marinho. Er gehörte zu den mächtigsten und umstrittensten Männern des Landes
aus Porto Alegre GERHARD DILGER
Besonders gerne erzählte der greise Roberto Marinho, wie er TV Globo aus der Taufe hob: „Ich informierte meine Brüder, dass ich beschlossen hatte, Eigentümer eines Fernsehsenders zu werden.“ Doch die hätten sein Projekt als zu riskant abgetan. Roberto belastete sein Haus in Rio mit einer Hypothek, „verkaufte ein paar Sachen und machte das Geschäft perfekt“. So die Legende.
Marinho war nämlich nicht der risikofreudige Selfmade-Man, der quasi im Alleingang brasilianische Mediengeschichte schrieb. In Wirklichkeit hat er seinen Erfolg ebenso sehr seinem familiären Hintergrund zu verdanken, der Fähigkeit, langfristig zu planen und kühl zu kalkulieren – und einem gewieften Umgang mit den jeweiligen Inhabern der politischen Macht. Ohne eine verfassungswidrige 6-Millionen-Dollar-Investition der Time-Life-Gruppe wäre TV Globo kaum so flott abgehoben.
Bereits Marinhos Vater tat sich 1911 mit A Noite als Zeitungsgründer hervor. Doch kaum lief 1925 die Tageszeitung O Globo aus den Rotationsmaschinen, erlag er einem Herzinfarkt.
Der 20-jährige Roberto übernahm das Blatt, aber bewährte sich zunächst als Reporter. Bald darauf baute er O Globo mit seinen Brüdern zu einer meinungsbildenden Tageszeitung aus. Später reüssierte er mit der Massenproduktion von Comic-Heften nach US-Vorbild erfolgreich, den ersten Rundfunksender gründete er 1944.
20 Jahre später war Roberto Marinho der wichtigste publizistische Wegbereiter des Militärputsches – und die Generäle dankten es ihm, indem sie großzügig über sein zeitweiliges Bündnis mit dem US-amerikanischen Medienunternehmen Time Life hinwegsahen.
Die entscheidenden Weichen für den Erfolg stellte Marinho, indem er die Bedeutung der Werbewirtschaft für die Medien erkannte und vor allem von BrasilianerInnen brasilianische Inhalte produzieren ließ, mit denen er das einheimische Massenpublikum für sich gewann. Besonders beliebt, auch als lukratives Exportprodukt nicht nur in lateinamerikanische Staaten, sind seitdem die aufwändig produzierten Seifenopern – wie etwa „Die Sklavin Isaura“.
Parallel zum Integrationsprojekt der Militärs bemühte sich TV Globo über die Mattscheibe um das richtige Nationalgefühl. Vor allem die abendliche Nachrichtensendung, die auch in abgelegenen Gegenden zu empfangen war, hatte es den regierenden Generälen angetan. Marinhos engster Berater entwarf derweil die Propagandapolitik des Regimes. Zugleich aber stellte sich der eigenwillige Medienzar konsequent vor linke Journalisten aus dem eigenem Hause.
Ebenso wie Roberto Marinho jahrzehntelang den Kurs der Zeitung detailliert vorgab, begleitete er auch die politische Ausrichtung seiner Fernseh- und Radiosender penibel.
1984 ignorierte er die starke Volksbewegung für direkte Präsidentschaftswahlen. Am Ende des Wahlkampfs 1989 ordnete er eine höchst einseitige Bearbeitung des entscheidenden TV-Duells zwischen dem rechten Kandidaten Fernando Collor und dem linken Gewerkschafter Luiz Inácio Lula da Silva an und trug dadurch maßgeblich zu Collors Sieg bei. „Der Präsident ist die Nummer zwei“, hieß es nicht erst seit dieser Episode.
Dann organisierte der Patriarch die Nachfolge. Seine Söhne Roberto Irineu, João Roberto und José Roberto leiten nun die Bereiche TV, Printmedien und Radio. Vier Fünftel der Fernsehsendungen stammen aus eigener Produktion – diese Quote können nicht einmal die großen US-Netzwerke aufweisen.
Im lateinamerikanischen Vergleich ist das Globo-Programm äußerst professionell, doch seichte Unterhaltungssendungen dominieren wie bei allen frei zu empfangenden Sendern – mit Ausnahme des quasi öffentlichen TV Cultura.
Die beliebtesten Entertainer des Landes sind bei Globo unter Vertrag, etwa die blonde Xuxa mit ihren Kindershows oder der singende Pop-Priester Marcelo Rossi mit seinen Aerobic-Messen. Den Seifenopern (derzeit: „Verliebte Frauen“) muss sich selbst König Fußball unterordnen. Sämtliche wichtigen Partien, die abends ausgetragen werden, auch Länderspiele, werden erst um 21.45 Uhr angepfiffen – nach der Globo-Soap. Schlecht besetzte Stadien sind die Folge. An der Krise des brasilianischen Fußballbetriebs ist die Globo-Vermarktungsmaschinerie also nicht unschuldig.
Das frühere Quasi-Monopol ist zwar passee, aber TV Globo bleibt meinungsbildend. In vielen Regionen sind die örtlichen Ableger der Globo-Gruppe eng mit den politischen Eliten verzahnt. Seit 1995 expandierten Marinhos Söhne auch in medienfremde Bereiche.
Größtes Sorgenkind ist jedoch die Kabel-Holding Globopar mit fast zwei Milliarden Dollar Schulden (Ende 2002). Die außergewöhnlich wohlwollende Berichterstattung, die der Regierung Lula zuteil wird, ist nur teilweise mit deren moderater Wirtschaftspolitik zu erklären. Vielmehr erhofft sich die Globo-Gruppe großzügige Kredite von Staatsbanken.
Am Mittwochabend erlag der 98-jährige Roberto Marinho in Rio de Janeiro einem Lungenleiden. Lula ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.