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Archiv-Artikel

Geschlossene Systeme

Vor dem Hamburger Landgericht steht eine psychisch kranke Frau, die Justizsenator Roger Kusch im Februar mit einem Messer leicht verletzt hat. Ein Gutachter bescheinigt ihr, in einem „komplexen Wahnsystem“ zu leben und schuldunfähig zu sein

„Als ich aufblickte, sah ich eine Frau, die mich hasserfüllt anschaute“: Roger Kusch

von Markus Jox

Um 13.05 Uhr hat das Warten ein Ende. Den ganzen Vormittag über warfen sich Gerichtsreporter im Hamburger Strafjustizgebäude fragende Blicke zu und rätselten raunend darüber, wann er denn nun komme, „der Roger“. Und ob er überhaupt erscheine. Kurz nach eins also betritt Justizsenator Roger Kusch (CDU) mit schneidig-zackigem Schritt den Hochsicherheitssaal 337. Dort verhandelt die 22. Große Strafkammer des Landgerichts gegen die Frau, die Kusch im Februar an einem CDU-Wahlkampfstand in Hamburg-Neugraben mit einem Klappmesser angegriffen und leicht am Bein verletzt hatte.

Die Staatsanwaltschaft wirft der 41-jährigen Yvonne C. versuchten Totschlag und schwere Körperverletzung vor. Da sie die Tat jedoch laut einem medizinischen Gutachten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat, berät das Gericht über die Unterbringung der Frau in der geschlossenen Psychiatrie.

„Für mich kam der Stich aus heiterem Himmel“, erinnert sich Kusch, der die Attentäterin gestern nur einen Sekundenbruchteil lang in den Blick nahm. Mitten im Gespräch mit Passanten habe er damals plötzlich „einen starken Schmerz im rechten Oberschenkel“ verspürt und gesehen, „dass aus der Anzughose Blut quillt“, so Kusch. Als er daraufhin erschrocken aufgeblickt habe, „sah ich eine Frau, die mich hasserfüllt anschaute“, so der Senator. Er erinnere sich weiter daran, dass die Frau „eine schwulenfeindliche Bemerkung“ ausgestoßen und dann versucht habe, ihn auch am Oberkörper zu treffen. Zeugen berichteten zuvor, die Frau habe Kusch mit „du schwule Sau“ und „du pädophiles Schwein“ beschimpft.

Die Beschuldigte, eine zierliche Frau mit leicht britischem Akzent, räumt die Tatvorwürfe unumwunden ein. Allerdings sei Kusch ein „Hexenmeister“, der sie mit „schwarzem Zauber“ überziehe. Sie habe nicht vorgehabt, Kusch zu töten, beteuert Yvonne C. Gleichwohl sei sie „entgleist auf eine Art, die meinem sonstigen Denken, Fühlen und Handeln nicht entspricht“. Die Tat sei „aus einer sehr erregten Gemütsverfassung“ heraus geschehen: „Ich empfand das geballte Unrecht meines Lebens.“ Als sie Kuschs „angespannt lachende, joviale Stimme“ vernommen habe, habe sie in dem Senator „meinen Peiniger“ gesehen: „Subjektiv befand ich mich in höchster Not“, so Yvonne C.

Der psychiatrische Gutachter Jochen Brack vom Klinikum Nord in Ochsenzoll, wo sich Yvonne C. seit der Tat aufhält, bescheinigte der Tochter eines Iren und einer Deutschen „paranoide Schizophrenie“. Sie leide unter Verfolgungswahn, Ich-Störungen und akustischen Halluzinationen, kurzum: Yvonne C. bewege sich in einem „ausgeprägten, komplexen Wahnsystem“. Danach attestiere sie sich selbst adlige Herkunft und bezeichne sich als „Ihre Heiligkeit“, die „im göttlichen Auftrag“ handle. C. sei davon überzeugt, dass die USA, die israelische Regierung, Berlusconi-Italien und die CDU/CSU zusammen mit dem Ku-Klux-Klan eine „Verschwörung zur Ausrottung des Adelsgeschlechts“ bildeten und alles vernichten wollten, „was intelligent, schön und klug ist“. Senator Kusch und Bürgermeister Ole von Beust mache sie „für ritualisierte satanistische Kinderschändungen“ verantwortlich. Selbst das Pflegepersonal, das sie in Ochsenzoll betreut, habe sie im Verdacht, mit Kusch zu telefonieren und Aufnahmen von ihr per Videokamera ins Rathaus zu senden.

„Mit Wahrscheinlichkeit“ sei damit zu rechnen, dass C., die keinerlei „Krankheitseinsicht“ zeige, eine entsprechende Straftat wieder begehe. Deshalb empfiehlt Brack dringend die Unterbringung in der Psychiatrie. C.s trockene Replik in Richtung Gutachter: „Sie argumentieren aus einem geschlossenen psychiatrischen Wahnsystem heraus.“

Der Prozess soll am 21. Juli mit denPlädoyers fortgesetzt werden