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Archiv-Artikel

Having read the book

Wie die Pop-Art auf den Pop kam: Der Münchner Kunsthistoriker Walter Grasskamp untersucht „Das Cover von Sgt. Pepper“. Seine „Momentaufnahme der Popkultur“ kann vom Design des britischen Künstlers Peter Blake bis auf die Kunst der Renaissance rückschließen und bleibt doch ganz beim Zeitgeist

VON BRIGITTE WERNEBURG

Recht besehen weltberühmte Werke der bildenden Kunst finden sich heute keineswegs nur im Museum, sondern in jedem Haushalt. Und dabei sind sie keine Kopie oder Reproduktion im üblichen Sinn; ihr Ziel war es von Anfang an, an diesem profanen Ort wertgeschätzt, aufbewahrt und gesammelt zu werden – als Album interessanterweise, dessen Hülle sie schmücken.

Die Rede ist also vom Plattencover, das der Münchener Kunsthistoriker Walter Grasskamp nun einer kunstwissenschaftlichen Untersuchung unterzieht. Konkret nimmt er sich „Das Cover von Sgt. Pepper“ vor, wie seine im Wagenbach Verlag erschienene Monographie heißt. Grasskamp analysiert also eine der kommerziell erfolgreichsten Schallplatten der Musikgeschichte, die maßgeblich, wie er schreibt, „für das künstlerische Potential der Popmusik steht.“

Das Album, das am 1. Juni 1967 erschien, war eine frühe, wichtige Konzeptarbeit im Bereich der Popmusik. Und das galt für die Musik, die Lyrics, die auf der Plattenhülle abgedruckt waren, wie für das Erscheinungsbild des Albums. Obwohl es nur eine LP enthielt, war es wie ein Doppelalbum aufgemacht und im Innern wie auf der Rückseite zeichnete es sich durch die konsequente künstlerische Fortführung des berühmten Coverbildes aus.

Gestaltet hatte das Album der Maler Peter Blake, schon damals ein wichtiger Repräsentant der britischen Pop-Art. Den Anstoß dazu hatte sein Londoner Galerist Robert Fraser gegeben. Kurz vor der Fertigstellung des Albums hatte Fraser den Bassisten der Gruppe, Paul McCartney, auf die Idee gebracht, einen Künstler mit der Gestaltung des Plattencovers zu betrauen. Als Peter Blake und sein Frau, die Bildhauerin Jann Haworth, mit der Arbeit begannen, stand das Grundmotiv des Covers – bedingt durch den Identitätswechsel der Beatles in die Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band – allerdings schon fest. Trotzdem scheint es stark von Blakes Werk beeinflusst zu sein, denn wie Grasskamp zeigen kann, weist Blakes Collage „Regatta“ aus dem Jahr 1965 das gleiche Motiv einer Ansammlung illustrer Köpfe auf.

Grasskamp bringt also, das zeigt sein Verweis auf „Regatta“, all die differenzierten Betrachtungsmethoden, die in der Geschichte der Kunstbetrachtung entwickelt und erprobt wurden, um die Bilder zum Sprechen zu bringen, für das Cover von Sgt. Pepper in Anschlag. Er verweist auf das Werk Blakes selbst, auf Vorläufer und Vorbilder aus der Kunstgeschichte oder der zeitgleichen Pop-Art, auf die Produkte der Kulturindustrie oder auf das Thema des Kanons und seine Variante in der Form der Pinnwand des Fans. Das Cover erfährt eine neue, differenzierte und detaillierte Lektüre und seine Wirkungsgeschichte wird ebenso deutlich wie seine Bedeutung für die Beziehung von Popmusik und Pop-Art.

Kardinal in diesem Verhältnis ist etwa der Begriff des Fans. Wie die Künstler der Pop-Art, allen voran Andy Warhol, geben sich die Beatles selbst als Fans zu erkennen, eben jener Prominenten, die hinter ihnen als Pappkameraden aufgebaut waren. Das Cover rehabilitiert das Fantum und schreibt es gleichzeitig in die Geschichte des Kanons ein. Grasskamp erinnert an Raffaels „Schule von Athen“ (1509/10), und sieht bei den Beatles die Gegenakademie versammelt, in der die Hochkultur mit Karl-Heinz Stockhausen ebenso vertreten ist wie die Massenkultur mit dem Schlagersänger Dion, um die Figuren zu nennen, die für den Bereich der Musik auf dem Cover vertreten sind. Bob Dylan ist der Dritte im Bunde, als singuläre Figur der zeitgenössischen Popmusik. Die Versammlung illustriert, so Grasskamp, das grundlegende Gesetz der Popkultur, „die Nivellierung von Hoch -und Massenkultur, von Kunst und Kommerz“. Es ist ein Panorama der Kulturindustrie, ihrer Allgegenwärtigkeit und Macht, was allerdings in der sofort folgenden Parodie auf Sgt. Pepper, Frank Zappas Album „We’re only in it for the Money“ sehr viel deutlicher benannt wurde.

Nicht nur Zappa reizte das Cover von Sgt. Pepper, das er des Euphemismus zieh. Grasskamp verweist auf neun weitere Varianten, etwa auf das „Yellow Album“ der Simpsons, das seinerseits eine zehnte und wohl wesentlichste Appropriation nennt, durch die Beatles selbst: Richard Hamiltons Entwurf für ihr so genanntes Weißes Album. Auch hier hatte Paul McCartney den bekannten Künstler beauftragt, der explizit ein Gegenmodell zu Sgt. Pepper vorschlug. In drei Kapiteln, unter den Titeln „Byzantinismus“, „Gesichtskontrolle“ und „Kundennummer“ untersucht Grasskamp Hamiltons Konzept. Hier freilich dominieren die Reverenzen aus Hochkultur gegenüber denen aus der Popkultur deutlich. Das Album erscheint o.T., ohne Titel, nur der Name der Künstler ist genannt, die Seriennummer möchte es als Auflagenobjekt charakterisieren und der eingelegte Bilderbogen kann als eine Art byzantinische Ikonostase interpretiert werden, als die Bilderwand vor dem Allerheiligsten. Trotz ihrer fusion von high und low verblieb die Pop-Art im Reservat der Hochkultur, wie Grasskamp klarlegt. Nur dank des Cover-Auftrags konnten sowohl Blake wie Hamilton die Pop-Art wieder dahin zurückbringen, woher sie ihre Motive, Techniken und Inspirationen bezogen hatte, in die Massenkultur mit ihren Mythen und Markenzeichen.

Der entscheidende Reiz der Untersuchung Grasskamps liegt tatsächlich in der akademischen Sorgfalt, die er seinem Gegenstand angedeihen lässt, wobei er in einer gänzlich unakademischen, lebendigen Schreibweise argumentiert. Das Cover von Sgt. Pepper ist ein Bildungsangebot, das man nicht abschlagen kann, so verführerisch, leicht und doch gelehrt kommt es einher. Damit schließt Grasskamps Untersuchung an das Glück an, das sich aus der Konstellation ergab, dass verschiedene Künstler unterschiedlicher Gattungen, jeweils am Höhepunkt ihrer jeweiligen Entwicklung zusammenkamen, um ihre aktuelle Position zu bestimmen, wodurch sie dem Zeitgeist das passende Bild lieferten. Und nur einmal, hier, ganz am Ende seines Essays, erlaubt sich der Münchner Kunsthistoriker Ironie und damit auch Pathos, wenn er mit Goethe auf einen revolutionären epochalen Neuanfang anspielt: „Und jeder Kunde der ersten Stunde“, so beschließt er nämlich sein Buch, „kann behaupten, er sei dabei gewesen.“

Walter Grasskamp: „Das Cover von Sgt. Pepper. Eine Momentaufnahme der Popkultur“. Wagenbach Verlag, Berlin 2004, 128 Seiten, gebunden, 18,50 €