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Archiv-Artikel

Sturz in Fußballerarme

Und wo landen? In den Armen eines Menschen mit Wollpulli oder mit glattem Bankerfummel?

„Ganz nett“ ist die kleine Schwester von „scheiße“ – sie lässt den Typen abblitzen

In der knallbunten „Tiki und Wild at Heart“-Szenerie am Görlitzer Bahnhof hat Minus25 ihr Zuhause, eine waschechte Ofenheizungsbude mit Außentoilette. Abends auf dem Heimweg schlurft sie immer am Wiener Blut vorbei. Eine Kneipe mit Glitzervorhang, hinter der es verdächtig rot leuchtet. Und das Rotlicht signalisiert: Spaß.

Eigentlich ist der Laden eine Fußballkneipe, das verraten die Horden von „Kreuzberger Jungs“ in Lederjacke und Wollpulli, die sich regelmäßig zur Bundesliga vor der Großbildwand stauen. Bisher hat Minus25 das wenig interessiert. Doch eines Nachts mutiert ihre Langeweile zur Spannung, und Minus25 kann nicht schlafen. Es geht schon auf drei Uhr zu, aber ihr Herz gibt keine Ruhe. Aufgewühlt von einem Liter Kaffee und dem drängenden Wunsch, noch etwas zu unternehmen, schnappt sie sich ihre Disco-Jeans, in der sie schon zur Jahrtausendwende Berlin in Grund und Boden gefeiert hat. Derjenigen Nieten-Röhre, in der sie jeden Samstag aus dem Haus getänzelt ist, um im Morgengrauen wieder an der Oberfläche aufzutauchen. Mit verschmiertem Kajal und blaugeschlagenenem Auge.

Den alten Zeiten gemäß stellt Minus25 sich vor den Spiegel und schneidet sich die Haare kurzentschlossen mit einer Nagelschere ab. Mit zerlöcherter Frisur und nichts Gutem im Sinn will sie es wissen: Taugt das Wiener Blut wirklich nur zum Fußball? Oder kann man hier eine Nacht verbringen? Nur Stunden später wird sie wissen.

Minus25 schmeißt sich gleich dem ersten Typen an den Hals, ein gewisser – „äh, wie heißt du noch mal?“, der gerade in einer der weinroten Sitzmuscheln abhängt. Reliquien aus einer 70er-Jahre-Disse an der Hasenheide und nun markiges Interieur vom Wiener Blut. Der Typ sieht aus, als käme er gerade von einer Fotosession bei Vanity Fair. Mitleidig betrachtet Minus25 seine perfekt manikürten Fingernägel und lässt sich dabei ohne Ende „Flamingo“ Cocktails ausgeben, die ganz ohne Alkohol, dafür aber mit viel Grapefruitsaft für günstige drei Euro daherkommen.

„Gepflegte Hände gehören zu meiner Tätigkeit als Finanzberater“, belehrt sie der Typ, seines Zeichens Bürohengst mit wienerischen Akzent und gescheitelter Bubihaftigkeit. Tatsächlich findet Minus25 den Typ „ganz nett“. Aber weil „ganz nett“ die kleine Schwester von „scheiße“ ist, lässt sie ihn eiskalt wieder abblitzen und springt auf die Tanzfläche. Schließlich ist heute „Dirty Dandy Hipshake“-Party. Was genau das bedeutet, weiß Minus25 auch nicht. Ihre Musikkenntnisse sind eher mangelhaft. Dafür macht sie dem blutigen Namen der Kneipe alle Ehre, denn eine Haarsträhne von ihr hat sich an der Schläfe mit dem winzigen Blutstropfen verklebt, den die Nagelschere ihrer zarten Haut entrissen hatte. Derart fügt sie sich perfekt ein in das Licht der Deckenlampen im Wiener Blut, die original schon im Palast der Republik rot und grausig leuchteten. Minus25 macht das, was sie am besten kann: eine Show abziehen. Zur Belustigung aller springt sie auf die Sitzmuscheln und beginnt zu steppen. Die Sitzmuschel ist eigentlich nur zum Sitzen da. Und rächt sich prompt: Minus25 stürzt. Aber wen interessiert das schon? Sie landet in den Armen eines Kreuzberger Fußballjungen, und etwas Besseres kann ihr gar nicht passieren. Denn viel lieber vergräbt sie ihre Nase in raue Wollpullis und strubbelige Haare als im glatten Bankerfummel. Die Bilanz des Abends ist entsprechend top: „Yes, Party im Wiener Blut – Yes, you can!“ SASKIA VOGEL