: Vom Raum in die Zeit
Stefan Roloff ist ein Pionier der computergenerierten Fotografie, Maler, Videokünstler und Filmemacher. Der Wahl-New-Yorker beeinflusste zahlreiche Künstler, darunter auch Peter Gabriel. Die Galerie Deschler zeigt nun seine Videos aus den Jahren 1983–2008
1984 hatten Maler keinen Computer. Doktoranden hatten einen. (Mit Floppy Disks, riesigen, dünnen Scheiben, mit denen erst einmal das Textverarbeitungsprogramm geladen werden musste.) Allerdings, ein Berliner Maler hatte schon so ein Ding, genauer gesagt, einen ganzen Raum voll von Rechnern. Deshalb erinnert Stefan Roloff sich auch nicht an Floppy Disks, sondern daran, dass die Techniker für die Änderung einer Farbnuance einen ganzen Tag benötigten.
Denn Roloff, der seit 1981 in New York lebte, hatte dank der Vermittlung des Musikers Peter Gabriel Zugang zum New York Institute of Technology. Dort experimentierte er mit digitaler Bildbearbeitung, etwa in seinem Video „Face“, dem Prototypen des Musikvideos „Sledgehammer“, das Gabriel 1986, zwei Jahre später, veröffentlichte und das Maßstäbe für die moderne Musikvideoproduktion setzte.
Jetzt ist „Face“ mit weiteren wichtigen Arbeiten von Stefan Roloff aus den 80er-, 90er- und 2000er-Jahren in der Galerie Deschler zu sehen. (Als ob er sich mit Walter Benjamin einig sähe, in der Überlegung – „und doch ist, was über die Photographie entscheidet, immer wieder das Verhältnis des Photographen zu seiner Technik“ – macht Markus Deschler zuletzt immer wieder einmal, sehr verdienstvoll, auf die Techniker unter den Künstlern aufmerksam.) Dabei ging es Stefan Roloff zunächst einmal nur darum, Malerei „von einer räumlichen Betrachtung in eine zeitliche zu überführen“. Zu diesem Zweck kombinierte er die Video- und Computertechnik mit der Malerei.
1983 zoomte er beispielsweise in das Auge des Motorradfahrers in einem seiner Gemälde hinein und sah dort die Häuserblocks der Straßenschluchten gespiegelt, durch die der Biker fuhr: „Big Fire“ war das gemalte, digital ins Endlose erweiterte Panorama in Flammen stehender Straßenzüge. Mit diesem Bild überzog er in einem weiteren Arbeitsschritt die Erdkugel, die so zum „Fireball“ des gleichnamigen Videos 1984 wurde.
Seine „Moving Paintings“ faszinierten nicht nur Peter Gabriel, sondern auch den Musiker Walter Steding oder die No-Wave-Legende Suicide mit dem Technopionier Martin Rev, mit dem Roloff noch immer, etwa bei seiner Videoarbeit „Orange Alert“ (2007), zusammenarbeitet. Die Filmmontage von Polizeieinsätzen, die Roloff in seiner New Yorker Wohngegend gemacht und über die Zeit gesammelt hat, ist mit dem minimalistischen Drumcomputer- und Keyboardspiel von Martin Rev unterlegt. Ein rotierendes Discolicht taucht den Raum, in dem das Video läuft, zusätzlich in rotes und blaues Licht, weshalb man nicht recht weiß, ob es wirklich nur ein desaströses oder nicht auch ein glamouröses Schauspiel ist, das man da bewundert.
Seit 1995 recherchiert Stefan Roloff auch die Geschichte seines Vaters, des Musikers Helmut Roloff, der in der Zeit des Nationalsozialismus Mitglied der Widerstandsgruppe Rote Kapelle war. Aus dieser Beschäftigung entstanden nicht nur ein preisgekrönter Dokumentarfilm und ein Buch, in denen der Künstler die problematische Rezeptionsgeschichte der Gruppe in der Nachkriegszeit aufzeigt, sondern auch das Video „Prinz Albrecht Straße 8“ (2000). In diesem Video reflektiert Roloff die so widersprüchlich überlieferte Geschichte der Roten Kapelle, indem er der – im Hauptquartier der Gestapo einsitzenden – Gruppe von verhafteten Widerständlern weitere, imaginäre Mitglieder zuschreibt, und zwar durch die Technik des Morphing. Echte Häftlingsfotos gehen in gemorphte und wieder in echte über.
Widersprüchen setzt Stefan Roloffs den Besucher auch beim Betrachten seiner neuesten Arbeit „Holland“ aus. Begleitet von einem Soundteppich, den Martin Rev gewebt hat, laden ihn zwei Liegestühle und ein – zugegebenermaßen verdächtig schmuddeliges – Strandambiente ein, sich in der strahlenden Leinwandsonne zu bräunen und zu entspannen. Schnell entwickelt sich die Sonne jedoch zu einem glutrot leuchtenden Feuerball. Er ist das Resultat der digitalen Montage der Bilder von Kacheln, Neonröhren und Bremslichtern, die Stefan Roloff bei einer Autofahrt durch den Holland Tunnel in New York aufgenommen hat. Sie verschmelzen nun zu einem bedrohlichen Kaleidoskop von Farben und Formen, in dem sich die seit 2001 erhobenen Warnungen visualisieren, dass der Holland Tunnel im Fokus möglicher Terroranschläge stehe. BRIGITTE WERNEBURG
bis 21. Februar, Stefan Roloff: „Layers. Videos 1983–2008“. Galerie Markus Deschler, Auguststr. 61, Di-Sa 12-18 Uhr