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Archiv-Artikel

Adel im Untergang

Vor 60 Jahren scheiterte das Attentat in der Wolfschanze: Die ARD zeigt heute den ersten Teil der Doku „Offiziere gegen Hitler“ (21.45 Uhr)

VON MARTIN REICHERT

Namen, die keiner mehr kennt: Der militärische Widerstand gegen den Nationalsozialismus, zumeist mit dem Datum des 20. Juli und der Person des Claus Schenk Graf von Stauffenberg verbunden, gilt als letzter großer Auftritt des deutschen Adels, bevor er von der politischen Bildfläche verschwand. Jeder zweite Beteiligte trug einen Titel in seinem Namen, und Adolf Hitler soll nach dem gescheiterten Attentat zu der Erkenntnis gelangt sein, dass die „Vons“ seine Hauptfeinde seien.

Doch so wie der „GröFaZ“ womöglich vergessen hatte, das sie auch zu seinen Steigbügelhaltern gehört hatten, bemühten sich deren Nachfahren um die Aufrechterhaltung dieses Mythos vom „christlichen Adel deutscher Nation“ (Theodor Heuss). Die Gralshüterin des deutschen Widerstands, Marion Gräfin Dönhoff, ist nicht mehr unter uns, und es ist zweifelhaft, ob ihr Maurice Philip Remys dreiteilige Dokumentation „Offiziere gegen Hitler“ gefallen hätte. Der Autor, sozusagen der Guido Knopp der ARD, hat sich Verdienst in zweierlei Hinsicht erworben: Zum einen zeigt er den militärischen Widerstand in seiner ganzen Bandbreite, beginnend mit der „Septemberverschwörung“ um Hans Oster von 1938, und durchbricht damit den einseitigen Kult um Stauffenberg, zum anderen scheut er sich nicht, das Spannungsfeld der Widersprüche zu beleuchten, in dem sich die Protagonisten des Widerstands bewegt hatten.

So kommt auch Heinrich Graf von Einsiedel zu Wort, als späteres Mitglied des kommunistisch inspirierten Nationalkomitees Freies Deutschland ein Enfant terrible des Widerstands, der Auskunft darüber erteilt, dass Stauffenberg durchaus antisemitisch eingestellt war.

Die Aussagen der „Talking Heads“ (insgesamt wurden über 100 Zeitzeugen befragt) spiegeln indirekt die Grabenkämpfe der historischen Zunft, die bislang zwischen Heldenverehrung und einseitiger Kritik oszillierten. Im Nachkriegsdeutschland galten die Offiziere zunächst vielen als Verräter, den 68ern gefielen wiederum die politischen Zielsetzungen der Widerständler nicht, die demokratisch zu nennen in der Tat falsch wäre.

„Vieles, was diese Männer dachten und taten, ist heute nur noch aus ihrer Zeit heraus zu verstehen“, erklärt Autor Maurice Philip Remy und hat Recht damit. Begriffe wie „Ehre“, „Vaterland“ und „Treue“ sind den Nachgeborenen abhanden gekommen, und damit auch das Verständnis für die innere Zerrissenheit der zumeist preußischen Offiziere. „Es war eine verdammte Pflicht, dem Vaterland zu dienen“, kommentiert denn auch Ex-Offizier und Kanzler Helmut Schmidt, eisern rauchend.

Der Autor scheut sich nicht, gemeinsame Interessen zwischen preußischem Offiziers-Adel und Nationalsozialismus anzusprechen, den Zusammenhang zwischen Zögerlichkeit und Begeisterung angesichts der Erfolge Hitlers herzustellen – und spricht offen aus, dass einige der Widerständler ursprünglich Anhänger Hitlers waren.

Remy zur Seite stand ein hochkarätig besetzter wissenschaftlicher „Stab“ unter der Schirmherrschaft von Ewald von Kleist, einem der letzten Überlebenden des Widerstands. Darunter Joachim Fest, Hitler-Biograf und Autor des Standardwerks „Staatsstreich – Der lange Weg zum 20. Juli“. Die Gräfin Dönhoff würde sich im Grabe drehen, die Enkelgeneration interessiert nur noch, wie es wirklich war.

Teil 2: „Aufstand des Gewissens“16. Juli, 21.40 UhrTeil 3: „Staatsstreich im Untergang“19. Juli, 21.45 Uhr