Der Beziehungsausklang

Bremen ist ein El Dorado junger Dirigenten. Doch jetzt zieht Daniel Harding seiner Wege. Und gibt auf dem Marktplatz eine große Abschiedssause

Mit Harding hat sich die Deutsche Kammerphilharmonie endgültig als eine der besten weltweit etabliert. Was kommt jetzt?

Von Ute Schalz-Laurenze

Als der neunzehnjährige Daniel Harding, eine Assistenz bei Simon Rattle und ein Einsprungsdirigat bei den Berliner Philharmonikern in der Tasche, im August 1995 zum ersten Mal beim Bremer Musikfest die Deutsche Kammerphilharmonie dirigierte, ahnte noch niemand, dass vier Jahre später daraus eine vierjährige Ära werden sollte. Und doch fielen schon damals Worte wie: „Es war Liebe auf den ersten Klang“, so der Geschäftsführer des Orchesters, Albert Schmitt. Einer der Musiker sprach gar von „Offenbarung“.

Harding selbst bescheingte dem basisdemokratisch orientierten Orchester, das 1980 von Studierenden gegründet worden war, „Begeisterungsfähigkeit auf höchstem Niveau“. Vier Jahre also begleitete der „Shootingstar“, wie der begabte junge Mann auf geradezu inflationäre Weise genannt wurde, das Orchester – vier Jahre, in denen der Deutschen Kammerphilharmonie die wohl endgültige Etablierung in Bremen und der Ruf als eines der ersten Kammerorchester der Welt gelang. Circa 25 Konzerte pro Jahr spielt es in Bremen und 50 in aller Welt. „Es gibt kaum einen Dirigenten, der so feinfühlig jede Nuance eines Solisten auffangen und ans Orchester weitergeben kann“, schwärmt die Solocellistin Tanja Tetzlaff.

Einen Wermutstropfen hatte der große Erfolg: Die Deutsche Kammerphilharmonie setzte entgegen ihrem ursprünglichen Anspruch – nämlich Schwerpunkte in Alter und Neuer Musik zu setzen – immer mehr auf populäre Programme aus Klassik und Romantik. Das ist eine Tendenz, die sich schon beim Vorgänger Thomas Hengelbrook abzeichnete und die auch ökonomische Gründe hat: Die Kammerphilharmonie mit ihren 35 festen Stellen erhält zwar öffentliche Zuschüsse und Sponsorengelder, den größten Teil ihres Finanzbedarfs von jährlich rund 3,8 Millionen Euro muss sie sich durch Tourneen selbst erwirtschaften. Da kann das Programm nicht zu speziell sein.

Außerdem sind junge Dirigenten darauf angewiesen, sich das allgemein gültige Standardrepertoire anzueigen, wenn sie im Musikgeschäft gefragt sein wollen. Daniel Harding hat sich in den vier Bremer Jahren ein großes Repertoire mit einem eindeutigen Schwerpunkt erobert: die Sinfonien von Johannes Brahms, die in der kleinen Besetzung des Orchesters als kammermusikalische Kleinode mit der Transparenz der wuseligen Mittelstimmen daherkamen.

Und doch soll es jetzt zu Ende sein, wohl im beiderseitigen Interesse: das Orchester, das lange keine feste Dirigenten – manchmal auch gar keinen – hatte, braucht frische Impulse, Harding hingegen neue Betätigungs- und Bestätigungsfelder. Auch sei, so war zu hören, das Orchester inzwischen zu alt. Harding übernimmt das von Claudio Abbado in Berlin als Nachwuchsorchester gegründete Mahler Chamber Orchestra und hat sich gleichzeitig für alle großen Orchester der Welt als Gast verpflichtet. Das Highlight für seine Karriereleiter wird wohl der Auftritt bei den Wiener Philharmonikern mit der zehnten Sinfonie von Gustav Mahler.

Nun also Daniel Hardings wirklicher und endgültiger Abschied, ein Fest, für das man sich populärer gibt denn je: Niemand braucht Geld und Eintrittskarte, um heute Abend auf dem Bremer Markplatz dabei zu sein, wohin das Konzert aus der ausverkauften „Glocke“ von Radio Bremen übertragen wird. Die Zugaben werden dann live für alle auf der Open-Air-Bühne gespielt – welche das sein werden, können die ZuhörerInnen über ein Handy-Gewinnspiel selbst entscheiden. Schon um 19 Uhr gibt es eine Dia-Show, die die Highlights der Zusammenarbeit mit Harding dokumentiert. Nach Konzert und Zugaben folgt noch ein Überraschungsprogramm – wozu anscheinend auch die Diskussion über Hardings Nachfolge gehören soll. Bisher allerdings hüllt sich das Orchester über Namen noch in Schweigen.

Das Programm heute Abend: Die damals so neue Musik des französischen Barockkomponisten Jean-Philippe Rameau, von seinen Anhängern „Newton der Musik“ genannt. Dann das schwermütige Violinkonzert des Finnen Jean Sibelius und Ludwig van Beethovens wahrlich rasante siebente Sinfonie, von Richard Wagner als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet: eine Musik, die nicht weniger als das Hochschießen von den Stühlen provoziert.

Was bleibt für die Bremer Orchesterlandschaft? „Unterschiedliche Profile in fröhlicher Konkurrenz“ wünschte sich einst Klaus Pierwoß, der als Generalintendant des Bremer Theaters wichtigster Arbeitgeber des anderen großen Bremer Klangkörpers ist, des ehemaligen Staatsorchesters mit 83 MusikerInnen. Das ist mittlerweile in eine GmbH umgewandelt, firmiert als „Bremer Philharmoniker“ und hat seit kurzem mit Lawrence Renes einen ebenfalls sehr jungen und aufstrebenden Dirigenten. Jetzt hat Bremen zwei Spitzenorchester – von sehr unterschiedlicher Größe, aber aus den unterschiedlichen Profilen ist leider nichts geworden.

Heute Abend ab 20.05 Uhr wird das Konzert live vom Nordwestradio (UKW 88,3 und 95,4) übertragen. Unter www.radiobremen.de/nordwestradio/harding gibt’s Ton und Bild zugleich. Ausschnitte sendet arte im Herbst in seiner „maestro“-Reihe