: Eine ganz dumme Sache
Im Priesterseminar zu St. Pölten in Österreich vergnügten sich Leiter und Zöglinge miteinander sowie wohl auch mit der Betrachtung von Kinderpornografie. Der zuständige Bischof Kurt Krenn will darin nur eine „Bubendummheit“ erkennen
AUS WIEN RALF LEONHARD
Im Priesterseminar zu St. Pölten wird der christliche Grundsatz! „Liebe deinen Nächsten“ hoch gehalten. Allerdings in einer Form, die die katholischen Kirchenoberen wenig erbaut. Letzte Woche wurden mehreren österreichischen Medien Fotos zugemailt, die die beiden Leiter des Seminars in eindeutig homoerotischen Posen mit Zöglingen zeigen. Diözesanbischof Kurt Krenn, dem das Seminar untersteht, wiegelte ab. Er sprach wörtlich von „Bubendummheiten“, die zwar zu tadeln seien aber keineswegs auf Männersex schließen ließen. Auf polizeiliche Untersuchungen, die dem Vorwurf nachgehen, im Seminar seien Kinderpornos heruntergeladen worden, wollte der Kirchenmann nicht eingehen. Während sich der Vatikan zum Skandal in Schweigen hüllt, werden in Österreich die Rufe nach dem Rücktritt Krenns immer lauter.
Ein Foto zeigt den Subregens (stellvertretenden Leiter) des und Priesterseminars, Wolfgang Rothe, beim Zungenkuss mit einem Zögling. Über ihnen baumelt ein Mistelzweig. Auf einem anderen greift der lächelnde Regens Ulrich Küchl einem Seminaristen in den Schritt. Die Aufnahmen, so dürfte inzwischen feststehen, zeigen durchaus alltägliche Szenen aus der Anstalt, die junge Männer auf den geistlichen Beruf vorbereitet. „Bitte helfen Sie mit Ihrer aufdeckenden Berichterstattung“ stand im Begleittext zu den Bildern, die anonym verschickt wurden, „handeln Sie zum Wohle der Kirche in Österreich und St. Pölten.“ Der Anonymus, offenbar selbst Schüler am Priesterseminar, wusste sich nicht mehr anders zu helfen. Mit Beschwerden bei den Vorgesetzten war er abgeblitzt.
Das Wochenmagazin Profil recherchierte weiter und brachte in Erfahrung, dass ausgelassene Feste im Seminar keine Seltenheit waren. Fotos, die Priesterschüler in kompromittierenden Posen miteinander oder mit ihren Vorgesetzten zeigen, wurden von Fahndern in den Zimmern der Zöglinge sichergestellt. Mehrere Computer mit Internetanschluss wurden beschlagnahmt. Profil zitiert einen leitenden Ermittlungsbeamten. „Sie haben sich selbst fotografiert, weil auch das eine Art Lustgewinn war. Und weil sie es auch mit dem Chef und seinem Stellvertreter getrieben haben, war das alles so normal, und man hat sich ganz sicher gefühlt.“ Unter den Zöglingen soll es ein „Ehepaar“ gegeben haben, das vom Regens höchstselbst als solches gesegnet worden sein soll. Andere Seminaristen verbrachten nicht nur Wochenenden, sondern ganze Monate bei Regens Küchl in der Abgeschiedenheit einer Probstei im Waldviertel.
Es heißt, der Vatikan befasse sich längst mit diesen Vorwürfen, die von Bischof Krenn seit Monaten unter der Decke gehalten wurden. Auf Missstände im Seminar angesprochen, hatte Krenn stets von einem „Kesseltreiben“ der Medien gesprochen. Erst die Veröffentlichung der Bilder zwang die beiden Regenten zum Rücktritt. Krenn nahm diesen an, „um größeren Schaden abzuwenden“, will aber keinen Sündenfall entdecken.
Sex unter erwachsenen Männern ist auch in Österreich kein Verbrechen. Doch für katholische Priester und solche, die es werden wollen, gelten andere Gesetze. Egon Kapellari, Bischof der Diözese Graz-Seckau und stellvertretender Präsident der Bischofskonferenz , stellte klar: „Im keinem katholischen Priesterseminar kann Pornografie und praktizierte Homosexualität geduldet werden.“ Es sei geboten, „den Sumpf schleunigst trockenzulegen“. Schon um zu garantieren, dass „andere Priester und Priesterkandidaten keinem falschen Generalverdacht ausgesetzt werden“. Es gelte Schaden von der österreichischen Kirche, aber auch von der Weltkirche abzuwenden.
Ein kurioser Dogmatiker
Bischof Kurt Krenn, der innerhalb der Bischofskonferenz immer schon kuriose und besonders dogmatische Positionen vertreten hat, steht unter Zugzwang. Er ist nicht nur formal für das Priesterseminar verantwortlich, er hat dessen Politik mitbestimmt. 2001 entließ er den langjährigen Regens Franz Schrittwieser und holte Ulrich Küchl und Wolfgang Rothe als neue Leiter aus Deutschland. Diese setzten für ihr Institut die sonst in Österreich geltenden Aufnahmekriterien außer Kraft. Schrittwieser kritisierte: „Es wurden größtenteils Kandidaten aufgenommen, die in anderen Diözesen für die Priesterweihe nicht zugelassen wurden“, darunter junge Männer aus Deutschland und Polen, denen offensichtlich die „menschliche Reife fehlte“ und solche mit psychischen Problemen. Priesterseminare, so die Ansicht von Psychologen, zögen außerdem oft Menschen mit unterentwickelter sexueller Identität an.
Aus einer von Bischof Kurt Krenn am Montag einberufenen vierstündigen Krisensitzung drang wenig nach außen. Krenn selbst betrachtete die Affäre anschließend als „dumme Sache“, sah aber keinen Anlass, selbst zurückzutreten. Ein Bischof kann nur vom Heiligen Stuhl abberufen werden. Die eigenen Kollegen können ihm höchstens den Rücktritt nahe legen. Egon Kapellari geht zwar nicht so weit – „das ist die Sache von ihm selber und von Rom, nicht unsere Kompetenz“ –, doch forderte er: „Personen, die Verantwortung tragen, müssen andere Aufgaben bekommen.“
Andere Kirchenleute wurden deutlicher. Etwa der Moraltheologe Paul Zulehner, der im ORF-Radio einen deutlichen Appell an Krenn richtete. Der Bischof solle zugeben, dass ihm „der Alkohol zu sehr zusetze“ und dass er „eigentlich nicht mehr in der Lage ist, solche fürchterlichen Vorgänge zu verhindern“. Für Zulehner ist die Affäre ein „pastoraler Supergau“ in der St. Pöltner Diözese, wo in den letzten Jahren tausende Katholiken aus der Kirche ausgetreten sind. Hubert Feichtlbauer, Publizist und ehemaliger Vorsitzender der basiskirchlichen Bewegung „Wir sind Kirche“, sieht in den Vorgängen den Beweis für die verheerende Ernennungspolitik des Vatikans in den Achtzigerjahren. Papst Johannes Paul II. hatte damals den inzwischen verstorbenen Bischof Hanns Hermann Groer zum Erzbischof und Kardinal von Wien gemacht. Dieser erzkonservative Kleriker trat nach einigen Jahren unter dem Vorwurf, er habe Seminaristen und Novizen sexuell missbraucht, zurück. Auch gegen die Ernennung des ultrakonservativen Kurt Krenn zum Bischof von St. Pölten gab es Proteste. Vergebens: Krenn führt ein autoritäres Regiment und nimmt es mit der Auslegung der katholischen Glaubenslehre immer besonders streng. Von den Medien wird er geschätzt, da er immer für starke Worte gut ist. Bei Homosexualität und Ehescheidung kennt er keinen Pardon.
Mit Sexseiten verstopft
Bischof Krenn, so heißt es aus Polizeikreisen, habe die Ermittlungen „nicht gerade gefördert“. Mit anderen Worten: Er versuchte die Affäre, in die zwei seiner engsten Mitarbeiter verwickelt sind, zu vertuschen. Die Polizei befasst sich nur mit den strafrechtlich relevanten Vorwürfen, das betrifft vor allem die häufigen Zugriffe auf Websites mit kinderpornografischen Inhalten. Ein Computer, so Profil, „war mit meist polnischen Sexseiten derart verstopft, dass andere Mitglieder des Hauses ihre E-Mails lieber an einem PC in der Bibliothek abriefen“. Ein bis zwei Beamte seien mit dessen Auswertung beschäftigt, erklärte Staatsanwalt Walter Nemec. Das werde einige Wochen in Anspruch nehmen. Für küssende Priester interessiere sich die Polizei nicht. Das Kirchenrecht aber sehr wohl. Ein Wiener Diözesanrichter erblickte in einem der veröffentlichten Fotos einen „eindeutigen Missbrauch der Amtsautorität laut Kirchenrecht“. Das kanonische Recht sieht für sexuelles Fehlverhalten von Priestern, Pfarrern oder Bischöfen eine „gerechte Strafe“ vor, die nicht näher definiert ist. Als äußerste Konsequenz droht jedenfalls die „Entlassung aus dem Klerikerstand“. Um qualifizierte Delikte handelt es sich laut Paragraph 1395, wenn das Opfer unter 16 Jahre alt ist Kardinal Christoph Schönborn, der sich als Metropolit für eine Untersuchung für zuständig erklären könnte, hat sich noch nicht geäußert. Bischof Kurt Krenn ist aber bemüht, die Ermittlungen intern abzuwickeln. Die Untersuchungskommission wäre ihm direkt unterstellt. Und sein persönlicher Sekretär Wolfgang Rothe ist zwar als Subregens des Seminars zurückgetreten, nicht aber als stellvertretender Leiter des Kirchengerichts St. Pölten. So wäre also dafür gesorgt, dass alles „en famille“ bleibt.
Der Vatikan schweigt. Man pflege Skandale in einzelnen Diözesen nicht zu kommentieren, hieß es. Doch ist bekannt, dass Kardinal Ratzinger schon lange die Entmachtung von Bischof Krenn plant. Es heißt, spätestens im Herbst solle dem kränkelnden Kirchenfürsten ein Koadjutor zur Seite gestellt werden, dessen Aufgabe es sei, diesen zu unterstützen. Und dann wohl auch bald zu beerben.