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Archiv-Artikel

Als ich die Tore des Gefängnisses öffnete

BAHMAN NIRUMAND, 73, ist Publizist und wurde in Teheran geboren. 1965 floh er nach Westberlin, kehrte 1979 in den Iran zurück, um nach drei Jahren erneut zu fliehen.

VON BAHMAN NIRUMAND

Die schönsten Monate, die der Iran je erlebt hat, lagen in der Zeit, als der Schah nicht mehr Herr der Lage war, bis zu der Zeit, als die Islamisten um Ajatollah Chomeini ihre Macht festigten. Jeder war erfüllt von der Hoffnung auf bessere Tage, auf Freiheit und Unabhängigkeit; jeder hatte das Gefühl, am Schicksal des Landes direkt beteiligt zu sein.

Ich war nach 14 Jahren im Exil nach Teheran zurückgekehrt, um die letzten Wochen der lang ersehnten Revolution mitzuerleben. Für mich waren die Monate wie in einem schönen Traum.

Was das Glücksgefühl allerdings zunächst etwas trübte, war die Angst vor einem Militärputsch. Werden die USA den Sturz ihres engsten Verbündeten am Golf dulden?, fragten wir uns. Erst als am 16. Januar der Schah das Land verließ und am 11. Februar im Rundfunk eine Neutralitätserklärung der Militärs verlesen wurde, konnten wir aufatmen.

Der Rest war ein leichtes Spiel, ein Vergnügen. Jeder rannte dahin, wo er die interessantesten Funde und Erlebnisse vermutete. Polizeireviere, Kasernen, Waffendepots, Rundfunk, Parlament und Senat, Paläste und Gefängnisse waren Ziele, die von Aufständischen aufgesucht, erobert und geplündert wurden.

Ich entschied mich zunächst für das Evin-Gefängnis, einen Ort des Schreckens, in dem Tausende eingesperrt, gefoltert und hingerichtet worden waren. Ich hatte im Ausland oft über dieses Gefängnis berichtet. Jetzt wollte ich es von innen sehen.

Das Gefängnis lag im Nordosten von Teheran in einem Tal. Wenn ich früher daran vorbeikam, sah ich auf den dicken hohen Mauern zumeist eine Schar von schwarzen Raben, die davonflogen, wenn Schüsse fielen. Als wollten sie der Stadt die Nachricht von einem neuen Verbrechen mitteilen.

Eine große Menschenmenge stürmte das von Wärtern und Polizisten verlassene Gefängnis. Das Tor wurde mit schwerem Gerät aufgebrochen, die letzten Gefangenen wurden auf Händen hinausgetragen. Sicher waren Kriminelle darunter, die für einige Stunden zu Helden wurden.

Ein ehemaliger Gefangener führte mich an Einzelzellen vorbei in eine Folterkammer. Es war ein großer, fast leerer Raum. In der Mitte stand ein Podest aus Marmor, rechts an der Wand ein leeres Bett aus Eisen. Links in der Ecke hingen zwei Ketten an der Decke, an deren Ende Riemen befestigt waren. Der Gefangene erzählte mir, wie er mit den Fußgelenken an den Riemen festgebunden und mit dem Kopf nach unten hängend ausgepeitscht wurde; wie ihm mit Zigaretten Brandmale zugefügt wurden.

Welcher Außenstehende wäre in der Lage, zu fühlen, welche Qualen die Menschen hier erleiden mussten?, dachte ich. Wird es jetzt damit aufhören, wird es in Zukunft, wie Chomeini versprochen hat, keine Folter und Hinrichtungen mehr für Andersdenkende geben?

Was für ein Irrtum, was für eine Enttäuschung! Wenige Tage nach Chomeinis Ankunft erfolgten die ersten Hinrichtungen. Erst waren es die Monarchisten. Dann kamen nacheinander die Linken, die Liberalen und Widersacher aus den eigenen Reihen dran. Es gab Tage, an denen im Radio Namen von 200 bis 300 Hingerichteten verlesen wurden. So wenig blutig die Revolution verlief, so mörderisch waren die Jahre danach. Das Evin-Gefängnis war bald überfüllt. Und ist es bis heute geblieben.