: Liebesgrüße aus Texas
Aus dem Urlaub dankt der US-Präsident Deutschland überschwänglich für die „sehr aktive Rolle“ in Afghanistan. Bush hat eine Versöhnung ziemlich nötig
aus Washington MICHAEL STRECK
Die Muße eines Sommerurlaubs kann schon nach wenigen Tagen Wirkung zeigen. Auf seiner Ranch südlich von Dallas hat George W. Bush offenbar entschieden, das Kriegsbeil zwischen ihm und Gerhard Schröder in der texanischen Erde zu vergraben und Deutschland die Hand zu reichen. In der glühenden Steppenhitze schwenkte der US-Präsident im Gespräch mit Journalisten am Freitag plötzlich vom Thema Irak auf Afghanistan um. Umringt ausgerechnet von seinen konservativen Vertrauten Pentagonchef Donald Rumsfeld, Vize Dick Cheney und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, dankte er vor der verblüfften Presse dem fremd gewordenen Partner Deutschland für den Bundeswehreinsatz am Hindukusch.
„Deutschland hat eine sehr aktive Rolle in Afghanistan übernommen, und wir sind sehr dankbar dafür“, sagte Bush. Und Deutschlands Hilfe sei nicht nur groß, sie sei auch größer ausgefallen, als es die USA erwartet hätten. Dann setzte Bush noch eins drauf und erklärte: „Ich freue mich darauf, Bundeskanzler Schröder dafür zu danken.“ Lob dieser Art war man in Berlin nicht mehr gewohnt. Das nährt auf deutscher Seite die Hoffnung, dass es im September am Rande der UNO-Vollversammlung, auf der Schröder sprechen will, zu einem versöhnlichen Treffen mit Bush kommt.
Bushs Geste ist ungewöhnlich. Noch vor kurzem hieß es, das Verhältnis der beiden Staatsmänner sei vergiftet und kaum mehr reparabel. Dem US-Präsidenten wurde nachgesagt, weiterhin sehr verärgert über Schröder zu sein und ihm seine Haltung zum Irakkrieg nicht zu verzeihen. Entgegen allen diplomatischen Gepflogenheiten hatte es Bush nicht für nötig befunden, Schröder zu seinem Wahlsieg im vergangenen Herbst zu gratulieren. Seit Monaten hätten beide nicht mehr miteinander telefoniert. Die transatlantische Kommunikation wurde von anderen gepflegt, in Deutschland maßgeblich von Joschka Fischer, Otto Schily und Peter Struck, und in Washington vor allem von Außenminister Colin Powell. Beim Gipfel der wichtigsten Industrienationen im Juni hatte es nur zu einem flüchtigen Wortwechsel zwischen dem Kanzler und dem Präsidenten gereicht.
Doch was sich bereits beim Fischer-Besuch in Washington vor drei Wochen abzeichnete, wird nunmehr immer deutlicher: Die USA sind bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung im Irak dringend auf internationale Hilfe angewiesen. Das momentan wichtigste Ziel, für Sicherheit zu sorgen, können die US-Streitkräfte nicht allein erreichen. Zu Hause wächst die Kritik an der offensichtlichen Planlosigkeit der US-Regierung nach dem Sturz des irakischen Regimes. Immer wieder werden amerikanische Soldaten getötet. Die monatlichen Kriegs- und Stationierungskosten belaufen sich auf vier Milliarden Dollar, doppelt so viel wie veranschlagt und angesichts des riesigen Haushaltsdefizits immer weniger zu verkraften. Seit Wochen bemüht sich daher das Weiße Haus, Staaten wie Japan, Frankreich, Indien und Deutschland, aber auch die Nato für die Stabilisierung und den Wiederaufbau des Irak zu gewinnen.
Die meisten Länder, vornehmlich die Kriegsgegner, verlangen jedoch für ein stärkeres Engagement im Irak eine neue Resolution des UNO-Sicherheitsrates. Auch wenn die US-Regierung weiterhin betont, dass die bestehende Resolution vom Mai, die den Besatzungsmächten USA und Großbritannien die weitgehende Verantwortung überträgt und den Vereinten Nationen lediglich eine Statistenrolle zuschreibt, reicht, scheint es im Weißen Haus ein Sinneswandel zu geben. Gut möglich, dass Washington und London bald mit einem neuen Resolutionstext aufwarten. Zu diesem neuen Pragmatismus passt Bushs Versöhnungsgeste gegenüber Berlin, auch wenn sie vom Zeitpunkt her und in der Form der Direktheit überrascht.
Sie dürfte angesichts des hitziger werdenden Präsidentschaftswahlkampfs auch eine Reaktion auf heftige innenpolitische Kritik sein. Viele oppositionellen Demokraten, die zwar den Irakkrieg unterstützt haben, werfen der Regierung vor, bei der Stabilisierung des Zweistromlandes bislang versagt und wichtige europäische Partner im Streit um den Krieg verprellt zu haben. „Wir brauchen mehr Geld und Hilfe von anderen und eine neue UNO-Resolution“, forderte kürzlich Senator Joseph Biden, renommiertester Außenpolitiker der Demokraten, in einer Rede, die den bislang schärfsten Angriff auf Bushs Irakpolitik formulierte. „Wenn wir nicht im Irak und in Afghanistan erfolgreich sind, werden wir weniger sicher sein, als vor beiden Kriegen“, warnte er.
Mit der Zunahme der Guerilla-Kämpfe im Irak, den erneuten Terroranschlägen zwischen Indonesien, Bagdad und Saudi-Arabien mehren sich die Stimmen selbst moderater Republikaner, die Bush anlasten, mit der einseitigen Fokussierung auf den Irak, den Kampf gegen den Terror zu vernachlässigen. Plötzlich rückte Afghanistan wieder ins kollektive Bewusstsein der Amerikaner. Vor wenigen Tagen forderte die Washington Post das Weiße Haus auf, endlich seinen vollmundigen Versprechen nachzukommen und die finanzielle Hilfe für Kabul aufzustocken sowie auch außerhalb der afghanischen Hauptstadt für Sicherheit zu sorgen. Das Angebot der Bundesregierung, den Einsatz deutscher Soldaten über Kabul hinaus auszuweiten, dürfte daher in Washington mit Wohlwollen aufgenommen worden sein. Nichts braucht die US-Regierung momentan so sehr, wie eine Entlastung an den Fronten außerhalb des Irak.