: Leer geräumte Bilder
Das Palais für aktuelle Kunst in Glückstadt richtet sein Programm international aus. Derzeit dort zu sehen: die Fotoausstellung Silver & Gold
aus Glückstadt PETRA SCHELLEN
Hätte man drei Wünsche frei – man würde sich Blätter an die Bäume wünschen. Oder Farbe ins Bild. Oder eine ordentliche Müllhalde, mitten hinein in diesen aufgeräumten Wald, den Falk Haberkorn eigenhändig von Unrat befreit hat: Als kahle Telegraphenmasten stehen die Baumstämme auf seinen Fotos aus der Serie Schonung auf weißlichem Waldboden herum. Sie versprechen nichts, halten nichts, sondern bilden einfach nur ein abstraktes Muster, dem man etliche Rätsel andichten kann.
Dem Wald auf den Grund zu gehen hat der Künstler, Schüler der Klasse Timm Rautert, die die Glückstädter Schau Silver & Gold bestückt, versucht. Dass er trotzdem nicht über die Oberfläche hinauskommt, überrascht nicht: Genau dies – das Antäuschen fotografischer Tiefgründigkeit – ist Thema der Schau im Glückstädter Palais für aktuelle Kunst. Ein Bau übrigens, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstand und seit 1985 als Kulturhaus fungiert.
Mehrere Versuche, das Gebäude zu bespielen, hat es in den Neunzigern gegeben; erst als städtische, später als kommerzielle Galerie wurde das Palais in dem 15.000-Einwohner-Städtchen an der Elbe betrieben. „Aber Glückstadt ist kein Pflaster für kommerzielle Kunst“, sagt Matthias Harder, Leiter des Kunstvereins, der das Haus seit August 2000 betreibt. Auf 500 Quadratmetern bespielt der Verein, dem die Stadt einen Erbpachtvertrag sowie eine halbe Stelle finanziert, das Gebäude; programmatisch konzentiert man sich auf Malerei und Fotografie.
Warum das aktuelle Konzept besser funktioniert als die der vorherigen Betreiber? „Wir haben den Ausstellungen – ohne die Künstler vor Ort zu vernachlässigen – eine internationalere Ausrichtung gegeben“, sagt Harder. 7.000 bis 8.000 Besucher pro Jahr lockt das neue Programm, von denen die Hälfte aus Hamburg, die andere aus Glückstadt, Itzehoe und Elmshorn kommt. Fotografen wie den in New York lebenden Koreaner Young Kyun Lim, die Lettin Inta Ruka, Miron Schmückle und Uwe Paduck hat Harder bereits gezeigt; im Herbst werden britische Fotos der Hamburger Sammlung Gundlach folgen.
Zeitgemäßer Ästhetik wissen sich auch die derzeit präsentierten SchülerInnen Timm Rauterts verpflichtet, die sich manchmal allerdings in den Klauen des Surrealen verfangen: Ihre Bilder leer zu räumen hat Esperanza Spierling versucht, hat mit Neonröhren bestückte Zimmer fotografiert, bis ein komplett dekonstruierter Bild-Raum übrig blieb. Den absurden Anspruch authentischen Darstellens greift – wie etliche Generationsgenossen – auch die Klasse Timm Rautert auf, deren Ideen allerdings nicht durchgängig neu sind: Tatorten gleichen die Häuser und Waldstücke von Ulrich Gebert, die von geheimnisvollem, weiß uniformiertem Personal bevölkert sind. Irrationale Deutungen provozieren diese Bilder, denen die Tatort-Serie des Hamburgers Peter Piller allerdings überlegen ist, weil Piller mit Dokumentarfotos arbeitet, die keine Spuren des Verbrechens zeigen, sodass allein das Bewusstsein den Kriminalfall (re-)konstruiert.
Wie bei Gregor Schneider abgeschaut wirken dagegen die Abbildungen trostloser Stuhl-Tisch-Bett-Konstellationen, die Ricarda Roggan an verlassenen Orten fand und die ihr zum Muster – wessen auch immer – gereichen. Und an Adrian Sauers akribisch bearbeiteten Fotos von Häusern, Treppen, Fenstern hätte sich mit Sicherheit René Magritte gefreut: Alle Feinstruktur hat Sauer den Fotografien genommen und die Flächen am Computer mit künstlicher Farbe aufgefüllt, bis eine aalglatt gewischte Oberfläche übrig blieb. Steril und sichtbar künstlich sind diese Bilder – vergnügliches Spiel und im Gehalt nicht neu.
Tatsächlich berührt aber fühlt sich der Besucher angesichts der Porträts von Göran Gnautschun: Merkwürdig verzerrt wirken die Großaufnahmen der Zwölf- bis Dreizehnjährigen, als habe der Fotograf die Gesichter bei der digitalen Bildbearbeitung eine Prise zu viel gestaucht. Doch angeblich hat er sie nicht verfremdet, die Physiognomie der ernsten Heimkinder, deren Abbildung explizit keine Sozialstudie sein soll. Und doch beschleicht einen das ungute Gefühl, dass hier etwas vorgeführt werden soll: „Das Phänomen, früh erwachsen zu werden“ habe er darstellen wollen, sagt der Künstler. Ein Motto, das ein wenig nach einer seltsamen Krankheit klingt.
Silver & Gold; Palais für aktuelle Kunst, Glückstadt, Am Hafen 46; Mittwoch bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr; bis 17.August 2003