Referendum mit politischem Risiko

Beim von Frankreichs Präsidenten Chirac angekündigten Referendum über die EU-Verfassung ist das „oui“ nicht sicher

„Die Franzosen sind unmittelbar von dem Verfassungsvertrag betroffen. Also müssen sie persönlich dazu konsultiert werden.“ Mit diesen einleuchtenden Worten erklärt Jacques Chirac, dass sein Land nächstes Jahr ein Referendum über den vom EU-Konvent ausgearbeiteten Text durchführen wird. Über die Annahme des Textes, den er „in jeder Hinsicht positiv“ findet, ist der Präsident zuversichtlich: „Ich habe Vertrauen in die Franzosen.“ Trotzdem droht er jenen, die für ein „Non“ werben könnten: „Kein verantwortungsbewusster Politiker kann Europa um 50 Jahre zurückwerfen wollen.“

Mit der Ankündigung im neunten Amtsjahr seit seinem Einzug in den Élysée-Palast kommt Chirac einer Forderung entgegen, die zuletzt PolitikerInnen sämtlicher französischer Parteien an ihn geäußert haben. Unabhängig von ihrer Position zu dem EU-Verfassungsvertrag argumentieren sie, dass die darin vorgesehene radikale politische Veränderung eine Konsultation des Volkes verlange.

Trotz des parteiübergreifenden Verlangens nach einem Referendum geht Chirac ein politisches Risiko ein. Denn in Frankreich hätte es bis zur Präsidentenwahl 2007 keinen Urnengang mehr geben müssen. Und bei Urnengängen hat Chirac erfahrungsgemäß ein unglückliches Händchen. 1997 löste er vorzeitig das Parlament auf. Als Ergebnis bekam er eine rot-rosa-grüne Regierung, mit der er fünf Jahre lang „kohabitieren“ musste.

2002 zeigte sich erneut Chiracs Missgeschick an der Urne. Da bekam er im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen lediglich 19 Prozent der Stimmen. Dass er im zweiten Durchgang dennoch das Rekordergebnis von 82 Prozent bekam – darunter die Stimmen vieler Linker – hat nichts mit seiner Politik zu tun, sondern allein damit, dass die FranzösInnen Angst hatten, der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen könnte die Wahl gewinnen.

Zwei Jahre danach ist Chiracs Rechte wieder geschrumpft: Sowohl bei den Regionalwahlen im März als auch bei den Europawahlen im Juni erlitt sie empfindliche Schlappen.

Zusätzlich unberechenbar ist der Faktor Referendum. Selbst Charles de Gaulle hatte 1969 eines verloren. Nachdem die Franzosen gegen seine Regionalisierung stimmten, trat er zurück. Bei den insgesamt zwölf seit 1945 organisierten Referenden ging es mehrfach um außenpolitische Fragen: zweimal um Fragen der algerischen Unabhängigkeit und zweimal um EU-Politik.

Das letzte EU-Referendum im September 1992 handelte von den Maastrichter Verträgen. Damals siegte das „oui“ nur ganz knapp mit 1,05 Prozent Vorsprung – obwohl die meisten PolitikerInnen der großen Parteien dafür geworben hatten. Seither hat sich kein Präsident mehr getraut, ein neues EU-Referendum zu organisieren.

Heute ist die Gemengelage anders als 1992. Die „Souveränisten“ – die ausgesprochenen EU-GegnerInnen – sind inzwischen schwächer geworden. Zugleich ist die inhaltliche Kritik an dem EU-Verfassungsvertrag groß. Vor allem an der beinahe kompletten Abwesenheit des Adjektivs „sozial“ in dem Verfassungstext. „Ein soziales Europa mit einer liberalen Verfassung? Das soll wohl ein Witz sein“, steht auf Plakaten der Kommunistischen Partei.

Auch bei den französischen Grünen ist der EU-Verfassungsvertrag umstritten. Und der sozialdemokratische Expremier Laurent Fabius hadert wie viele seiner GenossInnen noch mit sich: „Die Frage ist, welches Europa wir wollen.“ DOROTHEA HAHN