: Sehnsucht nach der Fachkraft
Einst war sie Vorreiter: Die Agentur mv4you in Mecklenburg-Vorpommern hat als erste Fachkräfte zurück in den Osten vermittelt. Inzwischen sind ihr angesichts drastisch gesunkener Geburtenzahlen andere Bundesländer gefolgt
Mecklenburg-Vorpommern ist mehr als 30 Mal so groß wie Hamburg, hat mit rund 1,7 Millionen Einwohnern aber eine kleinere Bevölkerung als die Hansestadt. Im Jahr 1990 verlor MV insgesamt 41.253 Einwohner, 2007 waren es 14.088. Betrachtet man die Zahl der Zu- und Fortzüge des ostdeutschen Bundeslands, offenbart sich ein trauriges Bild: Seit 1990 finden sich nur zwei Jahrgänge, in denen mehr Menschen zu- statt weggezogen sind: 1995 betrug die Wanderungsbilanz 198, im Jahr darauf 1.666 Menschen. Zum Vergleich lohnt sich ein Blick auf das Flächenland Niedersachsen: Von 2000 bis 2004 bewegte sich das jährliche Bevölkerungswachstum zwischen 8.484 (2004) und 30.222 (2001) Menschen. Nur 2005 musste Niedersachsen auf Grund einer hohen negativen Geburtenbilanz eine Schrumpfung um 6.717 verzeichnen. Die Wanderungsbilanz hingegen war in diesem Zeitraum stets positiv. TAZ
von FRIEDERIKE GRÄFF
„Sehnsucht?“ steht auf der Postkarte, und darunter ist die Seebrücke des Ostseebads Ahlbeck zu sehen. Sehnsucht, so stellt es sich die Agentur mv4you vor, soll bei diesem Anblick all die Mecklenburger Fachkräfte überfallen, die nach Hamburg, Niedersachsen, Berlin oder in andere finanzkräftige West-Metropolen abgewandert sind. Auf Pendlertagen oder Mecklenburg-Vorpommern-Abenden versucht die Agentur, ehemalige und gerne auch neue Arbeitskräfte zu gewinnen. Jahrelang geschah das in der Verantwortung der Evangelischen Jugend Schwerin, künftig soll ein Zusammenschluss von Unternehmensverbänden neue Leute ins Land locken.
Im Wirtschaftsministerium, das das Projekt mit derzeit rund 200.000 Euro finanziert, will man das nicht als Zeichen der Unzufriedenheit mit den Resultaten von mv4you deuten. „Das Bessere ist der Feind des Guten“, sagt Ministeriumssprecher Gerd Lange dazu. Mit den rund 550 Vermittlungen, die seit der Gründung 2001 zu belegen sind, sei man durchaus zufrieden. Aber von der engeren Anbindung an die Wirtschaft verspreche man sich „mehr Synergien“.
Entstanden ist das Projekt aus der Arbeit der Evangelischen Jugend in Schwerin in den 80er und 90er Jahren, als die Jugendlichen beim Weggang aus der Stadt das Bedürfnis hatten, miteinander in Verbindung zu bleiben. Mit zwischenzeitlich sechs – und inzwischen vier – Mitarbeitern vermittelte man den Kontakt zwischen Arbeitskräfte suchenden Unternehmen in Mecklenburg und den bei der Agentur registrierten Fachkräften. Die sind in der Regel Mitte 30, 65 Prozent sind Hochschulabsolventen – „die Klientel, die hier fehlt“, sagt Olav Hagen von der Evangelischen Jugend, der bis 2008 Projektleiter war.
Die Agentur mv4you war unbestritten Vorreiter in Sachen Fachkräftevermittlung in den neuen Bundesländern, doch manch praktischer Ansatz, so klingt es bei Hagen durch, „kommt leider erst jetzt“. So fand die erste größere „Recruiting Tour“, bei der sich Unternehmen und Land vorstellen, erst im vergangenen Jahr in Hamburg statt. Laut Hagen als „Wohlfühlabend“ mit viel Lokalkolorit organisiert und durchaus erfolgreich. Derzeit suche vor allem die IT-Branche nach Personal, aber auch Bauingenieure, Sozialpädagogen, Erzieher und Verwaltungsmitarbeiter seien gefragt.
Bislang hat die Finanzkrise den Fachkräftedienst nicht erreicht. Im Gegenteil kommen laut Hagen derzeit ungewöhnlich viele Anfragen bei der Agentur herein. Wer sich die demografischen Zahlen ansieht, kann davon nicht überrascht sein: Die Schülerzahlen haben sich seit 1990 in Mecklenburg-Vorpommern halbiert. Laut Wirtschaftsministerium wird es im nächsten Jahr zum ersten Mal weniger Schulabgänger – aller Schultypen – als Lehrstellen geben. Hätten sich die Wirtschaftsunternehmen also besser darauf vorbereiten können – und müssen? Laut Olaf Hagen gibt es durchaus Unternehmen, denen es gelungen ist, Personal an sich zu binden. Wer keine hohen Gehälter zahlen könne, habe sich beispielsweise durch besondere Familienfreundlichkeit hervorheben können. Auch im Wirtschaftsministerium sieht man eine gewisse Bringschuld auf Seiten der Unternehmen. Doch solange die Wirtschaftskraft in Mecklenburg-Vorpommern nicht das Niveau von Süddeutschland oder Metropolen wie Hamburg erreiche, seien die Möglichkeiten begrenzt.
Im Ministerium setzt man auf die „Lebensqualität“ im Lande: Im nächsten Jahr beginnt eine Kampagne in den Schulen, die den Jugendlichen zeigen soll, dass die Zeit von Lehrstellen- und Arbeitsmangel vorbei ist.
Vorbei ist damit auch die Zeit, in denen das Land seine Jugendlichen notgedrungen auf die Auswanderung vorbereitete. Im eigens eingerichteten Schwedenkontor und dem Baltic Center wurden junge Mecklenburger mit Sprachkursen auf die Ausbildung im Ausland vorbereitet.
Inzwischen haben weitere Bundesländer im Osten längst das Modell von mv4you übernommen. In Thüringen heißt das Gegenstück UFaS. Doch dort sind es über 20 Mitarbeiter in mehreren Büros. Die haben seit ihrer Gründung 2008 bereits mehr als 100 Kräfte vermittelt.