Sie verstehen nur Napster

Der Bertelsmann-Konzern steht vor Gericht: Die zuvor von ihm verklagte Tauschbörse „Napster“ will Schadensersatz

Die Firma CacheLogic im Cambridge, Großbritannien, produziert Software für einen Wachstumsmarkt. Ihre Programme helfen unter anderem Internetprovidern, die enormen Datenströme ihrer Kunden zu bewältigen, die an Tauschnetzen teilnehmen. Um zu zeigen, was auf die Netzbetreiber zukommt, hat CacheLogic letzte Woche eine eigene Statistik veröffentlicht. Danach werden heute jeden Tag in allen Tauschnetzen weltweit rund 10 Millionen Gigabyte Daten übertragen. Das entspricht etwa 3 Milliarden Musikstücken im MP3-Format oder 5 Millionen Spielfilmen.

Mag sein, dass diese Zahlen etwas hoch gegriffen sind, aber sie beschreiben zweifellos eine Tendenz. Was die offenbar stetig wachsende Zahl von Tauschpartnern im Internet treibt, ist allein ihre Sache und nur schwer von außen zu beobachten. Die Leute von CacheLogic finden das nicht weiter bedauerlich, sie haben versucht, die wenigen zuverlässigen Angaben der Netzbetreiber hochzurechnen und danach ihre Programme vorsichtigerweise auf einen beliebig großen Tauschverkehr eingestellt. Sie sind sicher, dass sie sich genau deswegen gut werden verkaufen lassen.

Man sieht daran, dass CacheLogik eine Firma von heute ist.

Von vorgestern ist dagegen immer noch die gesamte Musikindustrie. Noch im letzten Monat teilte sie uns mit, sie habe den Kampf gegen die Tauschbörsen schon halb gewonnen, bloß weil in ihrer Statistik die Popularität der Tauschbörse „Kazaa“ zurückgegangen war. Offenbar ist ihr völlig entgangen, dass Kazaa seinen einst guten Ruf selbst mit allerlei Zusatzprogrammen, die den Computer des Anwenders ausspionieren, ziemlich gründlich ruiniert hat. Nur völlig ahnungslose Anfänger installieren heute noch Kazaa, und auch das nur, um möglichst bald in viel leistungsfähigere Systeme wie „eDonkey“ oder „Bit Torrent“ zu wechseln.

Auch das schon mehrfach totgesagte, besonders schwer von außen beobachtbare „Gnutella“-Netz wächst munter weiter. Aber was sollen Leute davon verstehen, die den Computer für einen Fernseher mit eingebauter Bank-Einzugsermächtigung halten? Gar nichts, sie verstehen nur „Napster“. Die Musikkonzerne, die vor drei Jahren die Mutter aller Tauschbörsen zu Tode geklagt hatten, haben jetzt vor demselben kalifornischen Gericht erneut den Bertelsmann-Konzern zu einem Schadensersatz von 17 Milliarden Dollar verklagt: Auch ein Bertelsmann-Manager saß einmal im Vorstand von Napster, weil die Gütersloher damals lieber Geschäfte mit dem Wachstumsmarkt der Tauschbörsen machen wollten, als amerikanischen Rechtsanwälten sinnlos Geld hinterherzuwerfen.

NIKLAUS HABLÜTZEL